Die türkische Regierung unter Ministerpräsident Tayyip Erdogan versucht, deutsche Politiker mit türkischen Wurzeln zu ihren Helfern zu machen.

Hamburg. Das Motto der Veranstaltung lautete: "Wo auch immer einer unserer Landsleute ist, da sind auch wir". Der türkische Staat hatte sich spendabel gezeigt: Über 1500 Politiker, Geschäftsleute oder Verbandsvertreter mit türkischen Wurzeln aus aller Welt hatte man in ein Fünf-Sterne-Hotel nach Istanbul eingeladen - auf Staatskosten. An der Wand war eine große Karte der Türkei zu sehen. Die Umrisse des Landes waren als Baumkrone dargestellt, getragen von verzweigten Wurzeln. So wie auch die Türken weit über den Erdball verzweigt sind.

Der Höhepunkt der Veranstaltung war eine Rede des Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan. Der machte seinen Gästen schnell klar, worum es ihm ging: "Wir sind nun die Weltmacht Türkei. Das soll jeder wissen", predigte er. "Die Türkei ist kein Land mehr, dessen Tagesordnung von außen bestimmt wird, sondern ein Land, das in der Welt die Tagesordnung bestimmt."

Das Treffen, das Ende Februar stattfand und von türkischen Medien weitgehend unbemerkt blieb, wurde erst jetzt in Deutschland öffentlich. Ali Ertan Toprak, der Vize-Vorsitzende der Alevitischen Gemeinde in Deutschland, war dabei. "Das war alles nationalistisch", sagt Toprak dem Abendblatt. Ihn empört vor allem eine weitere Aussage, die er in Erdogans Rede gehört hat: "Wir müssen die europäische Kultur mit der türkischen impfen." Toprak zufolge forderte Erdogan seine Zuhörer auf, Staatsbürger im jeweiligen neuen Land zu werden. Um politisch aktiv zu werden, für die Interessen der Türkei. "Erdogan sagte, dass man sein Türkentum nicht durch die neue Staatsbürgerschaft verliert", sagt Toprak.

Erdogans Lobby-Gipfel zeigt, was türkischstämmige Politiker aus Deutschland bestätigen: Die Regierung aus Ankara will deutsch-türkische Politiker zu ihren Helfern machen. So wie Erdogans AKP in Deutschland mithilfe von Konsulaten, Verbänden und Imamen Parteipolitik macht. Es geht auch um wirtschaftliche Interessen, denn Auslandstürken bringen durch Investitionen in der Heimat viel Geld. Erdogan geht es jedoch auch um den EU-Beitritt und die Großmacht-Bestrebungen, um die linientreue Bewertung des Kurdenkonflikts und des Völkermords an den Armeniern. Da kann die Nähe zu Politikern nicht schaden. Vor allem nicht, wenn sie türkische Wurzeln haben.

Der Einladung ins Fünf-Sterne-Hotel nach Istanbul ist zwar kein Bundestagsabgeordneter gefolgt, lediglich zwei Landespolitikerinnen fuhren hin. "Die Regierung von Erdogan versucht jedoch in letzter Zeit verstärkt, Fürsprecher in Deutschland zu bekommen", sagt die Bundestagsabgeordnete Ekin Deligöz von den Grünen. Deligöz wurde in der Türkei geboren, wuchs in Deutschland auf und gab mittlerweile ihren türkischen Pass ab. Seit 1998 sitzt sie im Bundestag. Als sie im vergangenen Herbst erneut ins Parlament einzog, meldeten sich prominente Gratulanten aus der Türkei: "Der Parlamentspräsident rief an und jede Menge Minister. Es waren auffällig viele", sagt Deligöz. Auch eine Einladung zu einem Parteitag der islamisch-konservativen AKP hat die Grüne schon bekommen. Sie lehnte ab - so wie sie auch Erdogans Lobbyveranstaltung ferngeblieben ist. "Auch das war ein Parteitag der AKP, und ich bin Grüne", sagt sie. "Ich wollte nicht das Signal setzen, dass meine Herkunft meine politische Gesinnung beeinträchtigt."

Auch die Hamburger SPD-Abgeordnete Aydan Özoguz reiste nicht nach Istanbul. "Ich vertrete Interessen des deutschen Volkes und der Hamburger", sagt sie. Aygül Özkan, die für die CDU in der Hamburger Bürgerschaft sitzt, sagte ebenfalls ab. "Ich sehe die Sinnhaftigkeit nicht. Ich sehe mich nicht als verlängerten Arm der türkischen Regierung. Wir sind hier unseren Wählern und unserem Gewissen verpflichtet." Özoguz und Özkan sind in Deutschland geboren - beide berichten davon, dass in der Türkei reges Interesse an ihrer Person besteht.

Aygül Özkan sagt, dass sie die deutsche Handynummer angerufen hat, die auf der Einladung zu Erdogans Jubelfeier stand. Am anderen Ende meldete sich ein Mann, der mittlerweile für den türkischen Minister arbeitet, der für Auslandstürken zuständig ist. Der Mann hat lange in Köln gearbeitet, kennt sich in Deutschland bestens aus, ist oft hier. Systematisch klappert er die Bundesländer nach interessanten Kontakten ab. "Wir dürfen uns nicht instrumentalisieren lassen", warnt Özkan.

Die AKP verfügt längst über ein gut funktionierendes Lobbynetz, sagt Murat Cakir, der ein Buch über türkischen Lobbyismus geschrieben hat. Cakir zufolge gibt es in Deutschland zwei mächtige Lobbyverbände, die für Erdogans Ziele kämpfen: die Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD) und den Dachverband Türkisch-Islamische Union.

Die UETD sei so etwas wie die Auslandsorganisation der AKP, sagt Cakir. Der Verband war es auch, der 2008 den umstrittenen Kölner Auftritt Erdogans organisiert hatte. Erdogan hatte damals gesagt: "Assimilierung ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit." Die Aussage soll er bei der Istanbuler Veranstaltung wiederholt haben.

Nach eigenen Angaben hat die UETD folgende Vision: "Wir müssen uns dafür engagieren, dass die Türken in Europa an den zukünftigen Entwicklungen besser partizipieren. Wir müssen dafür die zuständigen Stellen in Bewegung setzen und Projekte in der Richtung entwickeln und sie ausführen." Nach Ansicht von Cakir setzt die Organisation "die zuständigen Stellen" mit dem Segen und viel Geld aus Ankara in Bewegung. Wenn türkische Regierungsvertreter zu Gast in Deutschland sind, bringt die UETD sie mit Auslandstürken in Hotels zu Diskussionsveranstaltungen zusammen.

Auch über den Dachverband Türkisch-Islamische Union übt Ankara Einfluss auf Deutschland aus. Der islamische Verband ist nach eigenen Angaben mit fast 900 angeschlossenen Gemeinden die mitgliederstärkste Migrantenorganisation Deutschlands. Der Zweck: "Förderung und Verrichtung der religiösen Dienste". Die Organisation untersteht dem türkischen Beauftragten für Religionsaufsicht - und damit dem Staat. "Der Verband ist für die Auswahl der Imame zuständig. Und diese werden ganz gezielt ausgesucht", sagt Cakir. "Freitagsgebete sind nicht nur in der Türkei eine Ansprache des Staates an das Volk. Sondern auch in Deutschland."

Die Konsulate nehmen Cakir zufolge eine wichtige Rolle in der türkischen Lobbyarbeit ein: Die Konsulate seien vor allem auf die zahlreichen Moscheevereine, Sportvereine, Elternvereine angesetzt. Den Beamten im Konsulat sei es wichtig zu wissen, was in den Vereinen vor sich geht: Vorstandswechsel müssten umgehend mitgeteilt werden, auch die Aktivitäten der Vereine werden genau verfolgt. "Vereinsvertreter werden häufig in die Türkei eingeladen, um für das Türkentum begeistert zu werden." Als Cakir selbst Vorsitzender eines Migrantenvereins war, sei er ins Konsulat bestellt und gefragt worden, was er gegen türkenfeindliche Bestrebungen unternehme. Die Antwort lieferten die Konsulatsmitarbeiter gleich mit: "Es gab keinen Völkermord an den Armeniern, Kurden sind Terroristen", so beschreibt Cakir die Weisung von oben. Als Cakir sich nicht kooperativ zeigte, reagierte man im Konsulat verärgert.

Wie ernst die türkische Regierung ihre "Stammesangehörigen" im Ausland nimmt, beweist die Gründung einer Behörde für im Ausland lebende Türken. In Deutschland leben 1,7 Millionen Türken und 1,3 Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln. Unterstellt ist die neue Behörde: dem Ministerpräsidenten.