Vor seinem Treffen mit Kanzlerin Merkel hat der türkische Ministerpräsident Erdogan sie scharf kritisiert. Er wirft ihr Hass gegen die Türkei vor.

Es ist ein politisch brisanter Besuch, wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) heute den türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan und Präsident Abdullah Gül trifft. Ihr zweitägiger Besuch ist überschattet von dem Streit um türkische Gymnasien in Deutschland und die EU-Vollmitgliedschaft. Erdogan hatte beides gefordert und legte jetzt in der Debatte um türkische Gymnasien nach. „Warum dieser Hass gegen die Türkei? Ich verstehe es nicht“, sagte Erdogan am Wochenende während einer Reise in Libyen mitreisenden türkischen Journalisten. „Das hätte ich von der Bundeskanzlerin Merkel nicht erwartet. Ist die Türkei ein Prügelknabe?“ Merkel hatte sich gegen türkische Gymnasien ausgesprochen.

Für Zündstoff sorgen auch die schleppenden EU-Beitrittsverhandlungen der Türkei. Wie aus Regierungskreisen verlautete will Merkel sie während ihres Besuches zum Thema machen. Die Fronten in dieser Sache sind verhärtet: Merkel plädiert lediglich für eine „privilegierte Partnerschaft“, wie es mit der FDP im Koalitionsvertrag vereinbart ist. Die Türkei sieht das anders. „Wir führen bereits die Verhandlungen, und zwar auf Vollmitgliedschaft. Für uns gibt es dazu keine Alternative“, sagte Erdogan.

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Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Ruprecht Polenz (CDU), ging auf Distanz zu Merkel und ihrem Vorschlag einer privilegierten Partnerschaft. "Es wäre besser, die Türkei in der Europäischen Union zu haben - aber nur eine Türkei, die die EU-Kriterien erfüllt, nicht nur nach Buchstaben, sondern in Wort und Tat", sagte Polenz dem Tagesspiegel.

Auch Grünen-Chefin Claudia Roth rief Merkel dazu auf, sich für einen Beitritt der Türkei zur Europäischen Union einzusetzen. Das Angebot einer sogenannten „privilegierten Partnerschaft“ sei ein Fehler, sagte Roth im Südwestrundfunk (SWR). Letztlich bleibe es hinter dem schon Erreichten zurück. Die Vorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen warf Merkel vor, mit ihrer Türkei-Politik Wahlkampfinteressen zu verfolgen. Sie und Frankreichs Präsident Sarkozy machten immer wieder deutlich, dass sie die Türkei nicht wollten. Eine glaubhafte Beitrittsperspektive könne dagegen die Demokratisierung der Türkei voranbringen, so Roth im SWR.

Die deutsche Wirtschaft sprach sich ebenfalls für eine weitere Annäherung der Europäischen Union an das Land aus. „Die deutsche Wirtschaft mahnt eine emotionsfreie Diskussion um die Beitrittsverhandlungen der Türkei an. Unsere Wirtschaftsbeziehungen mit der Türkei entwickeln sich seit Jahren überdurchschnittlich gut. Das Land bleibt absehbar ein Wachstumsmarkt in strategisch bedeutender Lage“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Werner Schnappauf, dem „Handelsblatt“.