Nach einem Herzinfarkt war er wochenlang außer Gefecht. Jetzt meldet sich der frühere Bundesumweltminister zurück - mit Wünschen und Kritik.

Berlin. Hamburger Abendblatt:

Herr Trittin, zwei Persönlichkeiten der Politik haben wochenlang geschwiegen. Die eine sind Sie, die andere Bundespräsident Köhler. Sind Sie einverstanden, wenn wir mit Ihnen beginnen?

Jürgen Trittin:

Der Bundespräsident sitzt hier nicht am Tisch.

Abendblatt: Sie haben vor acht Wochen einen Herzinfarkt erlitten. Wie fühlt es sich an, das politische Geschehen von der Klinik aus zu verfolgen?

Jürgen Trittin: Als ich diese Woche wieder anfing, habe ich gefragt: Was muss ich mir jetzt alles aneignen? Die Einweisung dauerte fünf Minuten, weil in den vergangenen acht Wochen fast nichts passiert ist. Ich habe absurde Debatten über Hartz IV und Schneeschippen gehört, aber Politik hat die Regierung nicht gemacht.

Abendblatt: Haben Sie versucht abzuschalten?

Jürgen Trittin: Eine kontinuierliche Zeitungs- und Internetlektüre habe ich schnell wieder aufgenommen, als ich die Intensivstation verlassen habe und zur Heilbehandlung nach Bayern gegangen bin. Wenn ich wandern oder Ski langlaufen war, hatte ich das Handy aus. Aber das habe ich schon immer so gehalten - unabhängig von Krankheit. Man muss in der Lage sein, Auszeiten zu nehmen und sich zu entspannen. Das ist wichtig, um diesen Stress durchzustehen.

Abendblatt: Macht Politik krank?

Jürgen Trittin: Mein Eindruck ist nicht, dass ich durch die Politik krank geworden bin. Es gibt bestimmte Risikofaktoren bei chronischen Herzerkrankungen. Von denen erfülle ich kaum eine. Ich rauche nicht, ich habe kein Übergewicht. Als mich der Infarkt ereilt hat, war ich alles andere als gestresst. Ich hatte 14 Tage Sporturlaub und eine Fraktionsklausur in entspannter Atmosphäre hinter mir. Aber ich habe offensichtlich eine erbliche Vorbelastung.

Abendblatt: Welche Erinnerung haben Sie an den Tag, als Sie in die Klinik mussten?

Jürgen Trittin: Dass es sich um einen Infarkt handelte, wurde sehr spät festgestellt. Dann ging alles ganz schnell. Keine halbe Stunde später lag ich im Katheterlabor auf dem Tisch, und die Ärzte verschafften sich über die Beinarterie Zugang zu meinen Herzgefäßen. Das kriegt man ja alles mit.

Abendblatt: Hatten Sie Angst?

Jürgen Trittin: Ich habe das Geschehen in mir auf dem Bildschirm eher mit großem Interesse verfolgt.

Abendblatt: Was haben die Ärzte gesagt? War es knapp?

Jürgen Trittin: Ich habe zwei oder drei Tage mit dem Fastverschluss einer Arterie gelebt. Das habe ich wahrscheinlich nur deswegen überlebt, weil ich immer schon sehr viel Sport gemacht habe.

Abendblatt: Hat dieser Einschnitt den Menschen Jürgen Trittin verändert?

Jürgen Trittin: Das kann ich Ihnen vielleicht in einem halben Jahr sagen.

Abendblatt: Spüren Sie Veränderungen als Politiker?

Jürgen Trittin: Ich habe mich sehr darüber gefreut, wie viele Kolleginnen und Kollegen aus allen politischen Lagern sich nach mir erkundigt und mir Glück gewünscht haben. Dass nur Intrige, Neid und Wegbeißen das politische Geschehen dominieren, kann man da nicht behaupten. Der politische Betrieb ist anständiger, als manche glauben.

Abendblatt: Werden Sie milder in der politischen Auseinandersetzung?

Jürgen Trittin: Ich habe gerade der Kanzlerin im Bundestag vorgehalten, dass sie mit ihrer Haltung gegenüber der Krise des Euro und der Problematik in Griechenland dabei ist, das gute europapolitische Erbe von Helmut Kohl zu verspielen. Milde hörte sich anders an.

Abendblatt: Haben Sie eine Vermutung, warum der Bundespräsident so lange geschwiegen hat?

Jürgen Trittin: Ich will nicht über die Motive spekulieren. In der Sozialstaatsdebatte hätte ich mir ein klareres Wort des Bundespräsidenten gewünscht. Herr Westerwelle hat unseren Sozialstaat als Ausgeburt spätrömischer Dekadenz gebrandmarkt. Er hat Langzeitarbeitslose als Fußabtreter für die eigene politische Profilierung benutzt. Das verletzt den Konsens unserer Gesellschaft. Ich hätte mir gewünscht, dass Herr Köhler an diesen Grundkonsens erinnert.

Abendblatt: Der Bundespräsident hat sich immerhin enttäuscht gezeigt von Schwarz-Gelb.

Jürgen Trittin: Damit hat er nur ausgesprochen, was viele Menschen - auch Wähler von Union und FDP - denken. Schwarz-Gelb ist handlungsunfähig. Mehr als Steuersenkungen für Hoteliers bekommt diese Koalition nicht hin. Fast noch schlimmer sind die Weichenstellungen in der Außenpolitik. Die deutschen Außenminister von Genscher über Fischer bis Steinmeier haben sich als Lobby für Europa verstanden. Herr Westerwelle ist als Lobby für Europa ein Totalausfall. Man kann es auch so sagen: Er hat sich diesen europapolitischen Schneid abkaufen lassen. Seine ganze Agenda ist eine nationalstaatlich-innenpolitische.

Abendblatt: Woran machen Sie das fest?

Jürgen Trittin: Nehmen Sie den Umgang mit der Griechenland-Krise. Herr Westerwelle trägt dazu bei, dass Europa nicht mehr als Schutz vor den Herausforderungen der Globalisierung begriffen wird. Die Europäer haben Ungarn und Lettland geholfen. Sie können sich jetzt nicht weigern, Griechenland zu stabilisieren.

Abendblatt: Sie wollen, dass Deutschland der Zahlmeister Europas bleibt.

Jürgen Trittin: Es geht um etwas anderes. Man darf zunächst nicht die Krise in Griechenland durch unverantwortliche Äußerungen zum Ausschluss Griechenlands aus der Euro-Zone verschärfen, wie es Frau Merkel tut. Die griechische Volkswirtschaft wieder in Schwung zu bringen, ist gerade im Interesse von Exportnationen wie Deutschland. Wir müssen verhindern, dass der Süden der Euro-Zone in eine Abwärtsspirale von Rezession und Deflation gerät. Es ist verantwortungslos, dass die Bundeskanzlerin und ihr Außenminister aus rein wahltaktischen Gründen die nationale Karte spielen und die Hilfe nach Washington delegieren. Ihren Vorgängern wäre das nicht eingefallen. Wir brauchen hier mehr Kohl und weniger Merkel, mehr Genscher und weniger Westerwelle.

Abendblatt: Der Bundespräsident hat sich für höhere Benzinpreise ausgesprochen. Das dürfte ganz nach dem Geschmack der Grünen sein.

Jürgen Trittin: Sie täuschen sich. Bei aller Symbolik: Der Benzinpreis spielt bei der Entscheidung, ob man Auto fährt oder nicht, eine untergeordnete Rolle. Will man Menschen von umweltfreundlicheren Verkehrsmitteln überzeugen, muss zunächst die Subventionierung des Autos, vor allem großer Autos, beendet werden.

Abendblatt: Und wie?

Jürgen Trittin: Der Staat sollte die Anreize verringern, verbrauchsstarke Autos zu fahren. Ein guter Weg wäre zum Beispiel die Kappung des Dienstwagenprivilegs. Autos, die mehr als 120 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer ausstoßen, dürfen nicht steuerlich subventioniert werden. Sinnvoll wäre außerdem, die Markteinführung von Elektroautos zu fördern. Das ist die Technologie, die uns unabhängig vom Öl macht.

Abendblatt: Halten Sie in der Energiepolitik die Positionen von Grünen und Union für vereinbar?

Jürgen Trittin: Wer die Laufzeiten von Atomkraftwerken verlängert und neue Kohlekraftwerke baut, der möchte nicht mit den Grünen koalieren.

Abendblatt: In der FDP wird vermutet, dass Frau Merkel genau das vorhat.

Jürgen Trittin: Frau Merkel wird beten, dass es nicht dazu kommt. Schwarz-Grün im Bund taugt vor allem als Drohung gegen die FDP.

Abendblatt: Das müssen Sie erklären.

Jürgen Trittin: Welche Probleme den Christdemokraten eine Koalition mit den Grünen bereitet, lässt sich in Hamburg gut beobachten. Kernmilieus der CDU haben eine Volksabstimmung gegen eine neue Schulpolitik erzwungen. Ich gehe inzwischen davon aus, dass wir die Volksabstimmung gewinnen können. Aber ich mache mir keine Illusionen darüber, was das in den Strukturen der CDU auslöst.

Abendblatt: Für die Grünen läuft es doch ganz gut.

Jürgen Trittin: Ich beklage mich ja auch nicht. Ich freue mich, dass in Städten wie Köln die Grünen nach der schwarz-grünen Periode zugelegt haben und die CDU massiv verloren hat - mit der Folge, dass dort heute Rot-Grün am Ruder ist.

Abendblatt: Sie wollen nach der Bürgerschaftswahl den Koalitionspartner wechseln?

Jürgen Trittin: Ich spekuliere überhaupt nicht über die Ergebnisse und Folgen der Bürgerschaftswahl. Ich sage nur, dass ich mir Schwarz-Grün in Hamburg sehr gelassen anschaue. Und ich stelle fest, dass es mit der SPD in vielen Fragen eine weitaus höhere Übereinstimmung gibt als mit der CDU. Hamburg bildet da keine Ausnahme.

Abendblatt: Sind die Grünen der Linkspartei näher als der CDU?

Jürgen Trittin: Kommt darauf an, welche Linkspartei Sie meinen. Im Osten ist das eine ganz normale, eher konservative Partei.

Abendblatt: In ihrem neuen Programm sieht die Linke die Verstaatlichung aller großen Industrien vor.

Jürgen Trittin: Ich war diese Woche beim Verband der chemischen Industrie zusammen mit Gesine Lötzsch. Die designierte Vorsitzende der Linkspartei begann ihre Rede mit den Worten: "Ich habe eine gute Nachricht für Sie. Ihre Industrie wird nicht verstaatlicht." Ganz im Ernst: Wo die Linkspartei regiert, macht sie eine hochgradig opportunistische Realpolitik.

Abendblatt: Oskar Lafontaine wirbt für Rot-Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen. Ist die Linke im Westen regierungsfähig?

Jürgen Trittin: Wir wollen Schwarz-Gelb in Nordrhein-Westfalen ablösen. Wir haben eine klare Priorität für Rot-Grün. Sollte es nicht reichen, müssen wir sehen, mit wem wir am meisten grüne Inhalte durchsetzen können. Ausgeschlossen sind nur eine Koalition mit der FDP und eine Tolerierung.

Abendblatt: Rot-Rot-Grün wird an Rhein und Ruhr also möglich?

Jürgen Trittin: Anders als Herr Lafontaine möchte, erweckt die Linke in NRW nicht den Eindruck, dass sie regieren kann und will.

Abendblatt: Aber Ihre Sympathie gilt SPD und Linken.

Jürgen Trittin: Meine Sympathie gilt Rot-Grün. Und Herr Rüttgers hat gesagt, er möchte nicht mit den Grünen regieren. Soll ich jetzt hinter ihm herlaufen?

Abendblatt: Im Saarland hätte es gereicht für Rot-Rot-Grün. Trotzdem regiert jetzt Jamaika ...

Jürgen Trittin: Das haben die saarländischen Grünen so entschieden - unbeeindruckt von anderslautenden Ratschlägen, die es auch gab. Das war ihr selbstverständliches Recht, aber nicht Bestandteil eines bundespolitischen Willens. Aber wie stellt man immer wieder fest? Das Leben ist kein Ponyhof.