Karen Heumann gehört zur seltenen Spezies weiblicher Führungskräfte. Sie ist in den Vorstand der Werbeagentur Jung von Matt aufgestiegen.

Hamburg. Als Karen Heumann klein war, grub sie auf dem Friedhof neben dem Elternhaus in Wetzlar ständig Knochen auf der Suche nach menschlichen Überresten aus. "Ich war meist enttäuscht, weil es fast immer Tierknochen waren", sagt die Hamburgerin lachend. Im Herbst beobachtete sie Leute auf der Parkbank aus einem Laubhaufenversteck und notierte die Beobachtungen in ihrem Detektivbuch. Ein sehr neugieriges Kind, wunderten sich die Eltern. Als sie ihrer Gegnerin beim Tennisturnier anbot, doch lieber eine Limonade trinken zu gehen, anstatt das Viertelfinale auszuspielen, kam zu der Verwunderung über die manchmal abenteuerliche Fantasiewelt der kleinen Karen die Frage des Vaters, ob es da nicht etwas an Ehrgeiz fehle. "Ich habe sehr in meiner eigenen kleinen Welt rumgepuzzelt", erzählt die heute 44-Jährige über ihre Kindheit als Tochter eines Notars. Damals schien ihr Leben manchmal so gar nicht in das Umfeld ihres Heimatstädtchens Wetzlar zu passen.

Heute ist Karen Heumann Vorstand der Werbeagentur Jung von Matt. Sie gehört zum Zirkel der wichtigsten Vertreter von Unternehmen und Politik, die auch schon mal gemeinsam mit der Kanzlerin zum Abendessen eingeladen werden. Aus dem verträumten Schulkind ist eine der gefragtesten Persönlichkeiten der deutschen Wirtschaft geworden.

Karen Heumann sitzt im "Wozi", im Durchschnittswohnzimmer von Jung von Matt. Ein Raum, der mit seiner dreiteiligen terrakottafarbenen Sitzgarnitur, der Schrankwand, dem Simmel im Buchregal und den 22 Quadratmetern Größe exakt das Wohnumfeld des typischen Deutschen nachstellt. Nicht nur in diesem Ambiente der Gewöhnlichkeit ist Karen Heumann eine Exotin.

Sie gehört auch als Chefin im Konferenzzimmer oder in der Dienstlimousine zu einer seltenen Spezies, hat sie es doch als eine der ganz wenigen Frauen in Deutschland zu einer Führungsposition gebracht. Derzeit gibt es 2,5 Prozent weibliche Vorstände und knapp zehn Prozent weibliche Aufsichtsräte in den Unternehmen, wovon der große Teil über die Gewerkschaften entsandt wird.

Die Deutsche Telekom führt nun als erstes der 30 DAX-Unternehmen eine Frauenquote ein. Bis Ende 2015 sollen 30 Prozent der oberen und mittleren Führungspositionen in dem Unternehmen mit Frauen besetzt sein. Der Konzern verspricht sich davon langfristig eine "höhere Wertschöpfung".

Neu ist eine solche Quote nicht: Selbst die Verfassungen von Ländern wie Afghanistan oder Irak schreiben eine Mindestanzahl von weiblichen Repräsentanten vor. Auch für Karen Heumann ist eine Quote das richtige Instrument, um mehr Frauen in die Chefetagen zu bringen. "Denn es fehlt dabei bisher einfach an Normalität", sagt die Werberin, die inzwischen als "Deutschlands führender Markenexperte" gilt. Schon mit 32 Jahren hatte sie es in die Geschäftsführung einer großen Agentur geschafft und musste sich dennoch bei einer Präsentation die Frage gefallen lassen, ob sie das Protokoll schreibe.

Auch ein Blick nach Island zeigt, wie wichtig es ist, dass Frauen in Machtpositionen zum Alltag gehören und damit althergebrachte Rollenverteilungen, wie sie im Elternhaus oder in der Religion sichtbar sind, infrage gestellt werden: Die erste Präsidentin von Island, Vigdís Finnbogadóttir, war insgesamt 16 Jahre im Amt. Nach etwa acht Jahren dachten Kinder in Island, dass nur Frauen Präsident sein können.

"Ich habe meine Karriere nie geplant", betont Karen Heumann. Ohnehin finde sie dieses Wort "grauenvoll", sagt die Werberin mit ihrem charmanten Lachen. Ihr Studium der Wirtschaft und Germanistik in Frankreich hat aus dem verspielten Mädchen eine sehr strukturiert arbeitende Studentin gemacht. Weil sie alles schneller, resoluter und disziplinierter anging als ihre Kommilitonen, wurde die deutsche Gaststudentin bald nur noch die "Teutonin" genannt.

Auch heute noch gehört ein 14-Stunden-Tag für die zierliche Frau zum Alltag. Ein Berufsleben, das die Frage nach eigenen Kindern in den Hintergrund rückte. "Ich hätte das, was ich hier mache, nicht mit Kindern machen können", ist Karen Heumann überzeugt.

Allerdings müssten Frauen auch den Mut zur Führungsposition aufbringen und sich nicht beirren lassen, fordert Heumann. "Viele warnen vor dünner Luft und der Einsamkeit an der Spitze. Und die Frauen lassen sich davon abschrecken", sagt die Strategin. Dabei genieße sie die "Gestaltungsmöglichkeit, die relative Abwesenheit von Ohnmacht und die Freiheit" als Führungskraft sehr. Und allein fühlt sie sich nun wirklich nicht. "Das macht wirklich Spaß."

Auch das bewusste Netzwerken war nie ein Thema für die Vorstandsfrau. Das Karriereinstrument, das viele Personalberater zielstrebigen Frauen empfehlen, war für Karen Heumann schon zeitmäßig nicht drin. "Ich war immer bis elf Uhr abends im Büro. Da war nichts mit Netzwerk." Heute gehört Heumann zwar zum Rotary Club Steintor und steht dem Verband der Kommunikationsstrategen mit 300 Mitgliedern vor. Solche Verbindungen hätten ihren Berufsweg allerdings nicht beeinflusst.

Viel wichtiger ist es der Literaturliebhaberin, anderen Frauen die Hemmungen vor einer Führungsverantwortung zu nehmen. Sie ist Mitglied im Independent Women's Forum, das sich mit anderen einflussreichen Frauen wie Hillary Clinton auch für mehr Unabhängigkeit der Geschlechtsgenossinnen einsetzt.

Heumann erzählt von einem Sozialexperiment in den USA: Dort hätten Wissenschaftler untersucht, warum in den klassischen Orchestern so wenig Schwarze und Frauen angestellt werden. Um alle Vorurteile auszuschalten, hätten die Musiker hinter einer Wand vorspielen müssen. "Und siehe da, bei diesem Test wären wesentlich mehr Frauen und Schwarze ausgewählt worden", sagt die mehrfach ausgezeichnete Werberin. Es sei auch für die Wirtschaft positiv, wenn es eine stärkere Durchmischung gäbe. "Wir brauchen Frauen in der Verantwortung, auch aus demografischen Gründen und weil wir auf ihre Qualitäten nicht verzichten können", sagt Heumann, und weiter: "Wir wären einen Schritt weiter, wenn nicht länger der älteste Mann in einem Konferenzraum automatisch als Chef gesehen wird und die Frau als unwichtigste Person", meint sie kämpferisch. Allerdings sei der Weg zu einer Gesellschaft ohne solche Vorurteile wohl noch lang. "Der Mensch ist eben doch ein kleines Tier."