Hamburg. Die Stimmung unter den elf Gemeindemitgliedern der Kirche St. Nikolai am Klosterstern ist sichtlich gedrückt. Eigentlich haben sie sich gestern Abend nur eingefunden, um mit Hauptpastor Johann Hinrich Claussen eine Passionsandacht zu feiern. Doch der Rücktritt der EKD-Vorsitzenden Margot Käßmann ist für die meisten ein Schock, den Claussen gleich zu Beginn versucht aufzufangen. "Das ist ein schwieriger Tag für die evangelischen Christen. Ich empfinde Traurigkeit und Mitleid mit Frau Käßmann", sagt er, schließt sie in sein Gebet mit ein und eröffnet nach seiner Andacht noch eine Diskussionsrunde.

Das Bedürfnis darüber zu sprechen ist groß. Nicht alle haben Verständnis für die Entscheidung Käßmanns, von allen Ämtern zurückzutreten. "So eine Frau bekommen wir nicht wieder für die Kirche. Man muss auch in harten Zeiten durchhalten", sagt Christiane Graff. Neben ihr sitzt Karin Pfeiffer und nickt zustimmend. Sie ist bitter enttäuscht, hatte gehofft, dass die Hannoveranerin mehr um ihr Amt kämpft. "Aber nach all den Schicksalsschlägen, dem Krebs, der Scheidung, ist es fraglich, ob sie die Kraft gehabt hätte, die Hetzjagd auf sie durchzustehen." Für Marga Hartmann, die Käßmann als "mutige, wichtige Stimme für den Glauben" bezeichnet, ist der Rücktritt jedoch konsequent. "Frau Käßmann hat immer strenge Maßstäbe an sich angelegt". Strenger als manche, vor allem männliche Politiker, die die Sache vermutlich aussitzen würden, sagen einige in der kleinen Runde.

Doch auch Propst Claussen sieht die Entscheidung Käßmanns als richtig an. Es sei nur schwer auszuhalten, wegen eines solchen Fehlers zum öffentlichen Thema zu werden. "Doch für die Kirche ist das zum Heulen, weil Margot Käßmann so eine große Theologin mit großer Ausstrahlung ist. Die ist wichtig für uns", sagt er mit bitterer Miene.

Vor ein paar Jahren war sie sogar zu Besuch in seiner Kirche, hat bei der "Wirtschaftskanzel" einen Vortrag gehalten. Da war die Kirche gerammelt voll. "Das war eine tolle Rede", erinnert sich Christa Emer. Sie kann sich nur vorstellen, dass Margot Käßmann "seelische Probleme hatte". Sonst wäre sie nicht betrunken Auto gefahren. Mathias Kessel sieht das Ganze in viel größerem Rahmen: "Vielleicht ist diese Krise eine Prüfung von Gott."