Die Profilierungskämpfe in der Koalition halten an. Vor dem Spitzentreffen der drei Parteichefs wies Merkel den FDP-Chef in die Schranken.

Berlin. Die Profilierungskämpfe in der schwarz-gelben Koalition halten an. Vor einem erneuten Spitzentreffen der drei Parteichefs wies die CDU-Vorsitzende Angela Merkel (CDU) am Mittwoch vor allem FDP-Chef Guido Westerwelle in die Schranken. „Selbstverständliches sollte selbstverständlich bleiben, damit man in der Sache zu guten Ergebnissen kommt“, sagte sie der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ zu konfrontativ vorgetragenen Forderungen Westerwelles in der Sozialstaat-Debatte. Die FDP ist ihrerseits massiv verärgert wegen wiederholter Angriffe auf Westerwelle aus Kreisen der Union. „Die Stimmungslage ist überhaupt nicht friedlich“, hieß es vor Beginn des Spitzentreffens aus der FDP.

Das Gespräch von Merkel, Westerwelle und CSU-Chef Horst Seehofer ist das zweite Treffen dieser Art seit der Regierungsbildung im Oktober. Eine Art Stillhalteabkommen bei der ersten Runde vor fünf Wochen hatte nur wenige Tage gehalten. Die Teilnehmer wollten diesmal ihr Gespräch im Kanzleramt nicht als „Krisengipfel“ bezeichnen. Allgemein herrscht aber in der Koalition die Erwartung, dass der öffentliche Dauerstreit in der Koalition eingedämmt werden müsse.

Merkel bekannte sich in der „FAZ“ ausdrücklich zu der Koalition. Sie kritisierte aber den Tonfall Westerwelles im Bündnis indirekt, aber deutlich: „Ich möchte aber vermeiden, dass durch bestimmte Formulierungen wie etwa „Man muss noch sagen dürfen“ der Eindruck entstehen kann, es werde etwas ausgesprochen, was nicht selbstverständlich ist, als gebe es also ein Tabu.“

Vizekanzler Westerwelle hatte mit seiner Warnung vor „spätrömischer Dekadenz“ in der Hartz-IV-Debatte für Unmut in der Union gesorgt. Merkel hatte ihn zur Mäßigung im Tonfall gemahnt. Die Parteispitzen wollten auch über die Neuberechnung der Hartz-IV-Sätze und bessere Zuverdienstmöglichkeiten für Langzeitarbeitslose sprechen. Strittig ist vor allem in der CSU weiterhin auch der FDP- Plan einer einkommensunabhängigen Pauschale anstelle der heutigen prozentualen Krankenkassenbeiträge.

Bayerns Ministerpräsident Seehofer erwartete vom Spitzentreffen ein Ende des Streits über Hartz IV. „Es wird sich sehr schnell herausstellen, dass die Diskussion völlig überhöht und entbehrlich war“, sagte er in München vor dem Abflug nach Berlin. Es sei „ein ganz normales Treffen“ mit Merkel und Westerwelle. Union und FDP lägen grundsätzlich bei Hartz IV nicht weit auseinander.

CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt sagte in Berlin, die Koalition habe gemeinsame Ziele, aber das Erscheinungsbild könne verbessert werden. „Daran kann man arbeiten.“ Das Gespräch im Kanzleramt sei kein Krisentreffen, aber für die „Chemie“ und die „Sympathie“ in der Koalition gut und wichtig. „Im übrigen wird die Friedenspfeife geraucht.“ In der Diskussion über die Zukunft des Sozialstaats legte Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) mit ihrer Kritik an Westerwelle nach. „Wir können nicht alle Langzeitarbeitslosen über einen Kamm scheren, und es nützt auch nichts, diese Menschen zu beschimpfen. Sie sind da. Und sie haben einen Anspruch darauf, dass dieses Land sie nicht beiseiteschiebt“, sagte sie dem Magazin „Stern“. Westerwelles Tonfall sei „sehr polarisierend“. Die Linke forderte Merkel auf, Westerwelle wegen der Hartz-IV- Debatte zu entlassen. „Herr Westerwelle hat bewiesen, dass er weder als Außenminister noch als Vizekanzler geeignet ist, sagte die designierte Linken-Chefin Gesine Lötzsch.

Die FDP profitiert dem „Stern-RTL-Wahltrend“ zufolge in der Wählergunst bisher praktisch nicht von der Sozialstaat-Debatte. Nach der Umfrage legt sie zwar im Vergleich zur Vorwoche um einen Punkt zu, bleibt aber mit 8 Prozent im Stimmungstief. Auch als Chef des Auswärtigen Amtes kommt Westerwelle in der Bevölkerung demnach nicht an.