Günther Oettinger, der neue Energiekommissar der Europäischen Union, sagt, wie er sich eine gesicherte Gasversorgung für Europa vorstellt.

Hamburg. Abendblatt.de: Die EU hat sich seit Jahren den Kampf gegen steigende Strom- und Gaspreise auf die Fahnen geschrieben – bisher ohne Erfolg. Haben Sie als Energie-Kommissar ein Rezept?

Günther Oettinger: Wir können die Energiepreise nicht diktieren, aber die Rahmenbedingungen verändern. Wir brauchen eine Infrastruktur für Strom- und Gastransporte, die den Wettbewerb stärkt und den Verbraucher profitieren lässt.

Abendblatt.de: Würde es helfen, die Energiekonzerne zu zerschlagen oder zumindest ihren Netzbetrieb von der Stromproduktion zu trennen?

Oettinger: Die EU hat bereits ein Gesetzespaket verabschiedet, dass genau das vorsieht – nämlich die Trennung von Netzbetrieb und Stromproduktion. In der Umsetzung haben die Mitgliedstaaten eine gewisse Flexibilität. Der EU kommt es darauf an, dass durch diese Umsetzung auch der Wettbewerb gefördert wird. Gleichzeitig muss die Transparenz verbessert werden. Wer einem Kunden Strom liefern will, muss das bestehende Leitungsnetz vollständig und zu fairen Preisen nutzen dürfen, auch wenn es der Konkurrenz gehört.

Abendblatt.de: Europa bezieht einen Großteil seines Gases aus Russland. Wie gefährlich ist es, von einem Lieferanten derartig abhängig zu sein?

Oettinger: Russland ist ein wichtiges Partnerland, aber nur eines von vielen. Die EU-Länder müssen generell unabhängiger werden von Drittländern. Das gilt für die Versorgung von Gas und Öl genauso wie für die Versorgung mit Rohstoffen wie Eisenerz und Kupfer. Für eine gesicherte Gasversorgung brauchen wir in Zukunft mehrere Leitungen. Der Erfolg der geplanten Pipelines von Nord Stream und Nabucco ist für Deutschland von besonderer Bedeutung.

Abendblatt.de: Beide Pipelines sind aber keine Langfristlösungen.

Oettinger: Wir haben beim Gas eine Abhängigkeit aufgebaut, die in den nächsten Jahrzehnten bestehen bleibt. Aber die Abhängigkeit ist beidseitig. Russland zum Beispiel will nicht nur Gas verkaufen. Es will mit den Einnahmen auch in seine Industrie und Infrastruktur investieren und braucht dafür Maschinen, Fahrzeuge, Chemieprodukte und Elektrotechnik, die wir in Europa herstellen. Genauso braucht es Ingenieurkompetenz. Wir werden also wichtiger für diese Länder.

Abendblatt.de: Was bedeutet das konkret?

Oettinger: Wir müssen mit Ländern wie Russland, Aserbeidschan oder Turkmenistan eine Vernunftpartnerschaft eingehen. Die Gaslieferer wissen, dass ihre Quellen endlich sind. Sie müssen Arbeitsplätze jenseits der Ölförderung entstehen lassen. Das geht nur mit einer industriellen Entwicklung, zu der Deutschland und die EU mit ihren Produkten viel beitragen kann. So hat beispielsweise gerade dort das Siegel „Made in Germany“ eine große Chance.