Seit 100 Tagen ist der SPD-Chef im Amt. Was hat er erreicht? Und was will er noch erreichen? Das Abendblatt zieht eine Zwischenbilanz.

Berlin. Gestern hatte er ein Heimspiel. Gestern Abend war Sigmar Gabriel in seiner Geburtsstadt Goslar. Genau gesagt bei der "Goslarschen Zeitung", die unter dem Titel "100 Tage im Amt als Parteivorsitzender" zu einer Podiumsdiskussion mit ihren Lesern eingeladen hatte. Und natürlich war die Bude voll. Das ist sie immer, wenn Gabriel irgendwo auftritt, denn bekanntlich ist er ein schwungvoll-witziger Redner. Andererseits waren gestern die da, die ihn mögen und schätzen.

Bundesweit gehören die Gabriel-Fans allerdings einer Minderheit an. Nicht einmal jeder fünfte Bürger bewertet die Arbeit, die Sigmar Gabriel neuerdings macht, als "gut" oder "sehr gut". Das hat Forsa im Auftrag des "Stern" ermittelt. Überhaupt stellen die Deutschen der neuen SPD-Führung ein durchwachsenes Zwischenzeugnis aus. Am besten schneidet Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier ab, mit dem jeder Vierte zufrieden ist. Die Zustimmung für die Generalsekretärin Andrea Nahles liegt bei 12 Prozent. Und die Partei selbst tut sich auch noch schwer, von der Krise der Koalition zu profitieren.

Gabriel gibt sich unbeeindruckt. Man könne "nicht gleich eine deutliche Verbesserung auf einer Strecke von hundert Tagen erwarten", sagt er. Dass "die Erarbeitung eigener und glaubwürdiger Alternativen" eben Zeit brauche. Auch dass er keine fertigen Rezepte parat hat, wiederholt der Mann aus Goslar bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Das ist einerseits vermutlich die nüchterne Wahrheit, andererseits aber möglicherweise auch ein Trick, der dazu dienen soll, den Erwartungsdruck, der auf dem Führungstrio lastet, nach unten abzuleiten. Die Parteimitglieder sollen künftig nämlich "mehr sein als Zuschauer". Es gäbe in der Partei "einen großen Bedarf, mit manchen Themen zu experimentieren", sagt der Vorsitzende.

Tatsächlich haben Gabriels Vorgänger mit Basisdemokratie nicht viel am Hut gehabt. Und die Mitgliederbefragung, die 1993 dazu führte, dass Rudolf Scharping den Parteivorsitz übernahm, entpuppte sich in der Rückschau eher als Offenbarungseid. Aber nach dem Bundestagswahl-Desaster vom 27. September soll denen da unten jetzt demonstriert werden, dass die da oben wieder auf sie hören. Ab März will man in die Ortsvereine gehen, und Ende Mai sollen sich dann die SPD-Kreisvorsitzenden mit der Parteispitze zusammensetzen, um die wichtigsten Themen für Mitgliederbefragungen herauszudestillieren. So hofft man, die vielen, die sich enttäuscht von der SPD abgewandt haben, zurückzugewinnen.

Auch wenn inhaltlich noch nicht zu erkennen ist, wo die SPD unter Gabriel hin will, so hat es in den ersten 100 Gabriel-Tagen doch keine Pannen gegeben. Vor allem dank des mäßigenden Einflusses, den Steinmeier auf den Parteivorsitzenden ausübt: Beim Thema Afghanistan und bei der Neuregelung für die Jobcenter hat es der Fraktionsvorsitzende geschafft, Gabriel davon abzubringen, auf Konfrontationskurs zur Regierung zu gehen. Der sagt jetzt selbst: "Das hätten unsere Wähler nicht verstanden."