Der ehemalige SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier rechnete mit der “Klientelpolitik“ von CDU/CSU und Liberalen ab.

Berlin. Es war eine Rede der Superlative. Ein "totales Versagen" bescheinigte Frank-Walter Steinmeier der Bundesregierung gestern. Einen "traurigen Rekord" habe Schwarz-Gelb in den ersten 100 Tagen aufgestellt - beim dritten Neustart sei man jetzt bereits angekommen, und ein Minister sei auch schon weg! Welche Schulnote das verdiene? Natürlich ein Mangelhaft. Nein, eine Fünf minus!

Lustvoll nahm der SPD-Bundestagsfraktionsvorsitzende die ersten drei Regierungsmonate von Schwarz-Gelb auseinander: "Das waren 100 Tage ohne Vorbereitung, voller Fehler und Pannen." Und der katastrophale Fehlstart lasse sich auch nicht mit Anfängerpech erklären. Der Koalition fehlten einfach die Mitte und die Entscheidungskraft, das Land aus der Krise zu führen. Die Bundeskanzlerin gebe keine klare inhaltliche Linie vor, nicht einmal die Richtung sei erkennbar. Was ihn vermuten lasse, so Steinmeier genüsslich, "dass kein Kompass zur Verfügung steht".

Im Prinzip hat man den ehemaligen Kanzlerkandidaten der SPD seit dem Tag der Bundestagswahl nicht mehr so in Geberlaune erlebt wie an diesem Donnerstag vor der Bundespressekonferenz. Im Gegenteil. In den ersten hundert Tagen von Schwarz-Gelb hatte man starke Auftritte von Steinmeier ja eher vermisst, seine Beißhemmung beklagt.

Gestern wirkte der Oppositionsführer für seine Verhältnisse geradezu aufgekratzt. Die drei Parteivorsitzenden Angela Merkel (CDU), Horst Seehofer (CSU) und Guido Westerwelle (FDP) hätten vor drei Monaten den Eindruck erweckt, dass sie vorhätten, Bäume auszureißen, meinte Steinmeier. Und was hätten sie vorzuweisen? Ein sogenanntes Wachstumsbeschleunigungsgesetz, das seinem Namen keine Ehre machen werde, sondern sich schon jetzt als Instrument zur Klientelpolitik erwiesen habe. Steinmeier spottete über die Forderung des nordrhein-westfälischen FDP-Chefs Andreas Pinkwart, Teile des Gesetzes - vor allem die Senkung des Mehrwertsteuersatzes für die Hotellerie - rückgängig zu machen: "Die Koalition ist schon auf der Flucht vor sich selbst!" Bei der Änderung des Erbschaftsrechts zugunsten von Unternehmenserben handele es sich ebenfalls um "klassische Klientelpolitik". Aber auch die Parteiapparate bedienten sich: Es gebe nicht nur mehr Staatssekretäre denn je - "Wie hat die FDP die Große Koalition gegeißelt!" -, sondern auch ein ganzes Heer neuer Mitarbeiter in den Verwaltungen. "Ich höre", so Steinmeier spitz, "dass wir alles in allem auf 1000 zusätzliche Mitarbeiter kommen."

Scharf kritisierte Steinmeier auch das Konzept von Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP), in der Krankenversicherung langfristig eine einheitliche Kopfpauschale einzuführen. Darin liege gesellschaftspolitischer "Sprengsatz". Ihm sei unerfindlich, warum Pförtner, Abteilungsleiter und Direktoren künftig alle denselben Beitrag zahlen sollten, sagte Steinmeier. Der von der FDP geplante "soziale Ausgleich" werde 40 Milliarden Euro Steuergelder verschlingen und 30 Millionen gesetzlich Versicherte zu "sozialen Bittstellern" machen.

Eine knappe Stunde dauerte Steinmeiers Auftritt. Aus dem Konzept geriet der 54-Jährige nur für Sekunden. Als er gefragt wurde, ob Opposition denn nun wirklich "Mist" sei, wie Franz Müntefering einmal behauptet habe. Da ruckelte sich der einstige Kanzlerkandidat erst einmal perplex im Stuhl zurecht. Der Satz sei insofern richtig, antwortete er dann mit kehliger Stimme, als "ich mich für diese Rolle nicht ein Jahr lang beworben habe".