Der Streit um Steuersenkungen für Hoteliers zeigt: Der FDP-Chef hat an Autorität verloren. Zu oft überlässt er die Partei sich selbst.

Hamburg. Es war einer der besonderen Tage für Guido Westerwelle. Er durfte gestern für einige Stunden einfach nur der FDP-Vorsitzende sein, so wie früher in der Opposition, als die Partei sich noch allein nach ihm richtete. Am Morgen nahm Westerwelle an der Präsidiumssitzung seiner Partei teil und gab anschließend eine Pressekonferenz. Das Geschehen hatte einen Anschein von Normalität. Doch nichts ist mehr normal und wie früher bei der FDP, in der ein Vize-Parteichef wie Andreas Pinkwart aus Nordrhein-Westfalen nonchalant seine eigene Partei mitsamt der Bundesregierung auffordert, die noch frische Mehrwertsteuersenkung für das Hotelgewerbe rückgängig zu machen. Noch vor 100 Tagen hätte niemand bei den Liberalen nur im Ansatz gewagt, eine Entscheidung des unumstrittenen Parteivorsitzenden zu attackieren.

Aber in den bald 100 Tagen, in denen die FDP mit der Union regiert, hat die Autorität Westerwelles Schaden genommen. Er ist nicht mehr nur der Parteichef, er ist nun auch Vizekanzler und vor allem Außenminister - und als solcher kaum noch in der Heimat. 26 Länder besuchte Westerwelle seit seinem Amtsantritt vor drei Monaten. Einen ganzen Monat war er zusammengerechnet auf Reisen. Ein Zeitraum, in dem er - auch der Bürde des Amtes geschuldet - die Partei sich selbst überließ. Wochenlang hatte die FDP keinen Generalsekretär, weil Westerwelle nach den Koalitionsverhandlungen keine Zeit mehr hatte, einen zu finden. Der FDP-Chef hatte zwar im Wahlkampf alles auf die schwarz-gelbe Karte gesetzt, aber gleichzeitig versäumt, seine Partei auf die Regierungsverantwortung personell vorzubereiten. Nach seiner Vereidigung am 28. Oktober 2009 hechelte der Vizekanzler nur noch von Termin zu Termin.

So haben seine Auftritte in der Hauptstadt, speziell im Thomas-Dehler-Haus, der Parteizentrale, inzwischen Seltenheitswert. Aber gestern war Westerwelle mal wieder da, und er musste sich mühen, auf den Umfragenabsturz seiner Partei auf bis zu neun Prozent halbwegs gelassen zu reagieren. "Wenn es mir nur um die Beliebtheitsumfragen ginge, hätte ich vielleicht besser Sänger werden sollen", sagte er.

Da hatte Westerwelle gerade eine Sitzung hinter sich gebracht, in der Pinkwart ihn erneut zur Rücknahme der Steuersenkung auf Hotel-Übernachtungen aufgefordert hatte. Darauf angesprochen konnte Westerwelle seine Anspannung nicht mehr verbergen. "Wir leben in einer Demokratie, da hat jeder das Recht auf freie Meinung", sagte er knapp. Pinkwart habe seine Meinung, das FDP-Präsidium eine andere, versuchte der Parteichef dem Thema ein schnelles Ende zu setzen.

Für Westerwelle kommt Pinkwarts Aufmüpfigkeit zur Unzeit. An diesem Donnerstag wollte der Parteichef eigentlich in einer großen Parteiveranstaltung ein Loblied auf die 100-Tage-Bilanz der schwarz-gelben Koalition singen. Und das Wachstumsbeschleunigungsgesetz, das die FDP als ihren Erfolg verkaufen wollte, wird nun in der eigenen Partei infrage gestellt. Alle anderen Großprojekte der Liberalen, die Steuerreform und die Kopfpauschale im Gesundheitswesen, sind in der Koalition hoch umstritten und vorerst vertagt. Der FDP droht die Inhaltsleere.

Auch der Parteichef selbst konnte in der Außenpolitik noch kaum zeigen, ob er seinen Vorgängern Frank-Walter Steinmeier (SPD) und Joschka Fischer (Grüne) ebenbürtig ist. Dass er als besondere Ziele seiner Politik neben der allgemeinen Kontinuität die Abrüstung und die guten Beziehungen zu den kleinen Partnern in der EU benannt hat, fällt kaum weiter auf.

Von Anfang an begleiteten Westerwelle öffentliche Zweifel an seiner Eignung für das Amt. Er selbst gab den Kritikern neue Munition, als er bei der ersten Pressekonferenz nach der Bundestagswahl völlig von der Rolle einen britischen BBC-Journalisten zurechtwies, er werde "hier in Deutschland" keine Fragen auf Englisch beantworten. Der sonst so gewandte und selbstbewusste Medienprofi zeigte da, wie verunsichert er sein kann. Dass er das Staatsmännische wohl noch üben müsse, argwöhnten seine Kritiker. Seitdem kämpft Westerwelle auch noch mit dem sich beharrlich haltenden Urteil, nie und nimmer in die großen Schuhe seines politischen Vorbilds Hans-Dietrich Genscher zu passen. Als sich beide am vergangenen Sonnabend in Aachen beim Karneval trafen, da wirkte Genscher noch immer wie der Lehrmeister des ewigen Schülers Westerwelle.

Auch im Kabinett hat der FDP-Vorsitzende ein Autoritätsproblem. In dem mit Abstand wichtigsten außenpolitischen Feld Afghanistan läuft ihm Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) bislang den Rang ab: Jede Äußerung Guttenbergs zum Einsatz am Hindukusch saugt die Öffentlichkeit mit größter Aufmerksamkeit auf. Kaum vereidigt, war es Guttenberg und nicht Westerwelle, der als erstes Regierungsmitglied von einem "kriegsähnlichen Zustand" in Afghanistan sprach. Westerwelle hingegen stieß für seine jüngste Ankündigung, Aussteigerprogramme für die Taliban mitfinanzieren zu wollen, auf breite Skepsis.

So waren die wenigen Stunden, die der Außenminister gestern bei seiner FDP verbrachte, fast schon exemplarisch für die ersten 100 Tage seines Mitregierens. Den parteiinternen Streit behandelte er so, als habe es nie Streit gegeben. Den massiven Ansehensverlust der FDP seit der Millionenspende aus der Hotelbranche behandelte er so, als sei so ein bisschen Gegenwind ganz natürlich. Kämpferisch, wie man ihn aus der Opposition kannte, war Westerwelle nicht mehr.

Spätestens zum Landtagswahlkampf in Nordrhein-Westfalen im Mai wird er wieder zum zeitweiligen Innenpolitiker werden müssen. Mehr denn je bangen dort CDU und FDP um ihre Mehrheit. Aber wird er die Zeit dafür haben? Gestern, kurz nach seinem Besuch bei der FDP, musste Westerwelle schon wieder Außenminister sein. Er traf sich mit Palästinenserpräsident Mahmud Abbas, dann fuhr er zum Flughafen. Es ging nach Griechenland, den 27. Staat seit seinem Amtsantritt. Und die FDP war wieder allein.