Merkel wirbt in Regierungserklärung für neues Bundeswehr-Mandat. SPD-Chef Gabriel macht Zustimmung seiner Partei von Festlegung auf Abzugsbeginn schon 2011 abhängig.

Hamburg/Berlin. Einen Tag vor Beginn der internationalen Afghanistan-Konferenz in London hat Bundeskanzlerin Angela Merkel gestern im Bundestag "viele Rückschläge" bei dem Einsatz am Hindukusch eingeräumt. "Außer Zweifel steht: Die internationale Staatengemeinschaft hat das Ziel ihres Einsatzes noch nicht erreicht. Und deshalb müssen wir handeln", sagte die Kanzlerin in ihrer Regierungserklärung.

Merkel verteidigte den deutschen Militäreinsatz und warb für die Unterstützung für ein neues Bundestagsmandat. Am Vortag hatte die Kanzlerin bekannt gegeben, dass die Bundesregierung weitere 850 Soldaten für den Einsatz abkommandieren werde. Damit steigt die Zahl der in Afghanistan eingesetzten deutschen Soldaten auf 5350. Das derzeitige Mandat des Bundestages gilt aber nur für maximal 4500 Soldaten. "Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan war und ist im dringendsten Interesse der Sicherheit dieses Landes", betonte Merkel. Ein einseitiger Abzug wäre "ein Beispiel für Aufgabe in Verantwortungslosigkeit". Die Verteidigung von Menschenrechten und Sicherheit habe ihren Preis. Merkel drängte die Parteien dazu, dem neuen Mandat zuzustimmen: "Wenn es eine Aufgabe gibt, die zu wichtig ist für parteipolitische Interessen, dann ist es diese Aufgabe."

Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel forderte als Voraussetzung für eine Zustimmung der Sozialdemokraten einen realistischen Fahrplan für den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan. Die Zustimmung der SPD hänge vor allem davon ab, ob das Jahr 2011 als Datum für den Beginn des Abzugs festgeschrieben werden kann, sagte Gabriel. Der bewaffnete Einsatz müsse dann zwischen 2013 und 2015 zu Ende gehen; die Truppenaufstockung müsse zudem zeitlich begrenzt bleiben. Merkel hatte keinen konkreten Abzugstermin genannt, nur erklärt, dass sie die Bestrebungen des afghanischen Präsidenten Hamid Karsai unterstütze, ab 2014 selber für Sicherheit im Land sorgen zu wollen.

Gabriel warnte davor, von einem "Krieg" am Hindukusch zu sprechen. "Die Vereinten Nationen führen dort keinen Krieg - und unsere Soldatinnen und Soldaten dort sind keine Krieger", sagte der SPD-Chef. Merkel hatte im Bundestag von "kriegsähnlichen Zuständen" gesprochen.

Die Kanzlerin hatte Karsai zuvor in Berlin zu einem Gespräch empfangen. Sie sagte ihm auch für die Zeit nach dem Abzug der internationalen Truppen langfristige Unterstützung aus Deutschland zu. "Die Verantwortung wird länger dauern, als unsere Sicherheitskräfte in Afghanistan sind", sagte die Kanzlerin.

Außenminister Guido Westerwelle sollte am Abend nach London fliegen, um das neue Konzept der Bundesregierung vorzustellen. Er nannte dieses Konzept, das im Kern eine verstärkte Ausbildung von afghanischen Polizisten sowie Aussteiger-Prämien für gemäßigte Taliban-Kämpfer vorsieht, "überfällig" und sagte im ZDF-Morgenmagazin, die Überbetonung des Militärischen sei ein Fehler gewesen: "Wie müssen mehr zivile Perspektiven schaffen."

Merkel sagte dazu, in London gehe es um eine Weichenstellung; dort werde über Erfolg oder Misserfolg des Einsatzes entschieden. Nur eine politische Strategie könne Afghanistan dauerhaft stabilisieren. Daher sei London auch keine Geber- oder Truppenstellerkonferenz, "sondern eine Strategiekonferenz".

Die USA zeigten sich derweil zuversichtlich, die Taliban mit finanziellen Anreizen spalten zu können. Die meisten Kämpfer seien nicht ideologisch motiviert, sagte Richard Holbrooke, US-Sonderbeauftragter des Präsidenten für Afghanistan und Pakistan. Mindestens 70 Prozent kämpften nicht für Mullah Omar oder al-Qaida und könnten deshalb integriert werden.