Wer im Mai Lafontaine und Bisky nachfolgt, muss eine Herkulesaufgabe erfüllen: Ost und West programmatisch zusammenzuführen.

Hamburg. Bloß nicht den Eindruck der Kopflosigkeit erwecken, bloß nicht den nächsten öffentlichen Personalstreit zulassen: Die Linke wollte gestern ein für alle Mal beweisen, wie geschlossen sie sein kann. Ein Personalvorschlag für die Nachfolge der scheidenden Parteichefs Oskar Lafontaine (66) und Lothar Bisky (68) musste umgehend her. In abendlichen Sitzungen erst mit den Ost-Landesverbänden, dann mit den West-Landesverbänden und schließlich mit allen gemeinsam wollte Fraktionschef Gregor Gysi so schnell wie nur möglich den oder die nächsten Parteivorsitzenden küren lassen.

Doch schon vor dem Sitzungsmarathon kamen prominente Absagen. Bundestags-Vizepräsidentin Petra Pau und die parlamentarische Geschäftsführerin der Bundestagsfraktion, Dagmar Enkelmann, die beide früh als Parteichefinnen gehandelt worden waren, schlossen gestern eine Kandidatur aus. Keine Absage kam von Parteivize Klaus Ernst, von Fraktionsvize Gesine Lötzsch und von Gysi selbst. In diesen Tagen der Neuordnung in der Partei gilt ein Schweigen schon als heimliche Bewerbung um den Chefposten bei der Linken. Und so schienen sich im Laufe des Tages die Parteikreise aus Ost und West allmählich auf diese drei Favoriten zu verständigen, wenn gleich in zwei unterschiedlichen Machtvarianten.

Mehrfach wurde Gysi als alleiniger Parteichef genannt. Er sei in Ost und West gleichermaßen anerkannt, hieß es übereinstimmend aus den Landesverbänden. Er könne durchaus auch alleine die Integrationsarbeit leisten, die sich sonst eine Doppelspitze aus Ost und West teilen würde. Andererseits wäre die Belastung enorm, und viele in der Partei können sich nicht vorstellen, dass sich Gysi darauf einlassen würde. Schleswig-Holsteins Linken-Landessprecher Björn Radke gehört zu den Zweiflern: "Fraktion und Partei zu führen, das geht auf die Substanz. Es wäre ein Kompromiss, der allein auf Gregor Gysis Knochen geht", sagte er dem Abendblatt. Ganz anders sieht das der Chef der niedersächsischen Linken, Diether Dehm: "Ich bin für Gregor Gysi in der Doppelfunktion. Er sollte jetzt für eine gewisse Phase den Fraktions- und Parteivorsitz übernehmen."

Für Gysi als Einzellösung sprach zumindest die Parteisatzung, die bislang vorsieht, dass es nun - drei Jahre nach der Fusion der Linkspartei aus PDS und WASG - keine Doppelspitze mehr geben soll. Um eine solche dennoch beizubehalten, müsste die Satzung beim Parteitag im Mai in Rostock geändert werden.

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Diese Hürde wollen jedoch immer mehr führende Parteimitglieder nehmen. Gesine Lötzsch beispielsweise begründete den Vorteil der Doppellösung allein mit der Verteilung der Verantwortung auf mehrere Schultern. So könnten auch die Interessen der einstigen PDS und der WASG berücksichtigt und die Erfahrungen aus Ost und West zusammengebracht werden, sagte Lötzsch dem RBB. Die aus Ost-Berlin stammende 48-Jährige scheint vielen derzeit als die ideale Besetzung in einer Doppelspitze: Sie ist ostdeutsch, weiblich, hat reichlich Erfahrung als SED-Mitglied und ist trotzdem angesehen in den Westverbänden. Am Sonnabend, als Lafontaine seinen Rückzug bekannt gab, trat Lötzsch als Gastrednerin auf dem Landesparteitag in Baden-Württemberg auf und wurde gefeiert.

Wenn die Kriterien "weiblich, ostdeutsch" mit Lötzsch besetzt wären, käme für das noch fehlende Führungsmerkmal "männlich, westdeutsch" derzeit nur Klaus Ernst infrage. Der WASG-Mitbegründer, der einst als Erster Bevollmächtigter der IG Metall in Schweinfurt aus der SPD austrat und Stimmung gegen Gerhard Schröders Agenda 2010 machte, gilt längst als einer der wichtigen Versöhner zwischen Ost und West in der Partei.

Der 55-Jährige war Lafontaine stets treu ergeben und stellt so auch für die Anhänger des scheidenden Parteichefs eine Personalie dar, die ganz im Sinne Lafontaines die Partei weiterführen und auch mit seiner anerkannt rhetorischen Stärke die starken Ost-Verbände bändigen könnte. Die neue Parteispitze erwartet eine Aufgabe, die nicht weniger als die Existenz der Linken sichern soll. "Die neuen Parteivorsitzenden müssen die programmatischen Differenzen zwischen Ost und West in unserer Partei überbrücken", sagt Nord-Linken-Sprecher Radke. "In die Fußstapfen Oskar Lafontaines passt kein Nachfolger. Das ist völlig klar."