Hamburg/Berlin. Der SPD-Vorstand applaudierte stehend, als der große alte Mann der deutschen Sozialdemokratie im Raum erschien. Zum ersten Mal seit seinem Rücktritt als Bundeskanzler hat der 91-jährige Helmut Schmidt gestern wieder an seiner Sitzung des Vorstands teilgenommen. Es ging um Afghanistan. Schmidt schloss sich der Forderung der SPD, die Bundeswehr bis 2015 aus Afghanistan abzuziehen, nicht an, sondern mahnte, Deutschland müsse seinen Bündnisverpflichtungen nachkommen und dürfe sich nicht in Nato und EU isolieren. Hier hätten die strategischen Interessen Deutschlands Vorrang vor denen der Partei. Schmidt fügte aber hinzu, falls die USA ihre ersten Soldaten schon 2011 zurückzögen, müsse auch Deutschland dies tun. SPD-Chef Sigmar Gabriel bekräftigte derweil die Forderung nach einem "Abzugskorridor" zwischen 2013 und 2015.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte zuvor ein Gesamtkonzept für Afghanistan angekündigt. Dabei gehe es sowohl um den militärischen Schutz für die afghanische Bevölkerung als auch um den zivilen Wiederaufbau, erläuterte die Kanzlerin und betonte: "Diese Strategie wird von den Nato-Partnern einhellig geteilt." Deutschland wird im Zuge der neuen Nato-Strategie für Afghanistan vermutlich personell mehr tun müssen. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (FAZ) berichtete gestern, die Bundesregierung wolle 1000 zusätzliche Soldaten anbieten - 500 Mann vor Ort und 500 weitere als Reserve. Morgen will die Kanzlerin im Bundestag eine Regierungserklärung dazu abgeben. Gestern Abend wollte sich die Kanzlerin mit Außenminister Guido Westerwelle (FDP) und Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) treffen, um die deutsche Haltung festzulegen. Endgültig beschließen will die Bundesregierung die Strategie für den Hindukusch-Einsatz nach Auskunft von Vize-Regierungssprecher Christoph Steegmans aber erst nach der Afghanistan-Konferenz am Donnerstag in London. Es sei wichtig, den Einsatz in einem Gesamtzusammenhang zu sehen, sagte Merkel: "Ziviler Ausbau, Ausbildung von Polizisten und Soldaten, Schutz der Bevölkerung und notwendige militärische Aktivitäten." Sie bleibe aber dabei, "dass der Einsatz gefährlich ist".

Indessen hat Westerwelle das geplante Aussteiger-Programm für gemäßigte und kriegsmüde Taliban verteidigt: "Nicht jeder, der dort kämpft, ist ein Terrorist." Zum Auftakt eines EU-Außenministertreffens in Brüssel sagte Westerwelle weiter, es gebe Mitläufer unter den Taliban, die nur aus wirtschaftlichen Gründen auf einen falschen Weg geraten seien. Für sie solle ein Fonds eingerichtet werden, um sie wieder in die Gesellschaft zu integrieren - das werde "ein völlig neuer Ansatz sein".

Am Sonntag hatte Westerwelle im ARD-"Bericht aus Berlin" gesagt, er stehe einer Aufstockung der deutschen Afghanistan-Truppe nicht im Weg. SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles bekräftigte im Bayerischen Rundfunk die Ablehnung dieser Aufstockung: "Wir haben Informationen, das es auch möglich sein könnte, dass wir mit dem Kontingent von maximal 4500 Soldaten auskommen können."