Berlin. Linken-Parteichef Oskar Lafontaine stößt auch nach seinem ersten öffentlichen Auftritt seit Wochen auf Widerspruch in den eigenen Reihen. Es stelle sich die Frage, was der Marken-Kern der Linkspartei genau sei, den Lafontaine beschworen hatte, sagte der thüringische Linken-Fraktionschef Bodo Ramelow gestern. So sei unklar, was genau die Forderung nach einem sofortigen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan bedeute.

Lafontaine hatte am Dienstagabend den Erfolg seiner Partei bei der Bundestagswahl auf die unverzichtbaren Forderungen der Linken zurückgeführt. Dazu gehörten der sofortige Abzug aus Afghanistan, die Abschaffung der Hartz-IV-Regeln und der Rente mit 67 sowie die Einführung eines Mindestlohns.

Es gebe Unsicherheiten, ob ein geordneter Rückzug in Afghanistan schon eine Verletzung des Marken-Kerns darstelle, sagte Ramelow. Der Fraktionschef hatte vergangenes Jahr als Spitzenkandidat der Linken im Thüringer Landtagswahlkampf einen sofortigen Abzug infrage gestellt und sich Rüffel der Parteispitze eingehandelt.

Ramelow widersprach auch der Einschätzung des Parteichefs, die Linkspartei hätte den Koalitionsvertrag mit der SPD in Brandenburg wegen der vereinbarten Einschnitte im öffentlichen Dienst nicht unterzeichnen dürfen. "Aus der Sicht eines ostdeutschen Politikers muss ich sagen, dass bestimmte Elemente der Brandenburger Regierungsbildung von mir aus ostdeutscher Sicht getragen werden." Bei der dramatischen Bevölkerungsabwanderung in den ostdeutschen Bundesländern seien die Einschnitte nötig gewesen. Auch in Thüringen hätte er ähnliche Maßnahmen befürwortet, wenn es zu einer rot-rot-grünen Landesregierung gekommen wäre.

Die Rede Lafontaines sei hilfreich gewesen, sagte Ramelow. Für den scheidenden Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch, dessen Verhältnis zu Lafontaine als zerrüttet gilt, sieht er auch in Zukunft eine führende Rolle in der Partei. Bartsch hatte nach dem Vorwurf, nicht loyal gegenüber Lafontaine gewesen zu sein, seinen Verzicht auf eine erneute Kandidatur angekündigt. Auch der wegen einer Krebserkrankung operierte Lafontaine hat bislang nicht gesagt, ob er beim Parteitag im Mai wieder für den Vorsitz kandidiert. "Jeder ist ersetzbar", hatte Lafontaine gesagt - und damit alle Unklarheiten über die personelle Zukunft seiner Partei offengelassen.

Auch bei den Wählern scheint Lafontaines Kurs schlecht anzukommen. Laut einer aktuellen Forsa-Umfrage für das Magazin "Stern" und RTL meinen 61 Prozent der Befragten, Lafontaine sollte sich ins Privatleben zurückziehen. Selbst 35 Prozent der Linkspartei-Anhänger sähen demnach ihren Vormann am liebsten in Rente.