Wolfgang Schneiderhan wehrt sich. Bei Kundus wurde in einem Feuergefecht wieder ein deutscher Soldat verletzt.

Kundus/Hamburg. Der entlassene Generalinspekteur der Bundeswehr, Wolfgang Schneiderhan, hat Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg der Lüge bezichtigt. „Was diesen 25. (November) nachmittags angeht, sagt er die Unwahrheit“, sagte Schneiderhan der „Zeit“ über die Abläufe am Tag seiner Entlassung.

Die Darstellung von Guttenberg (CSU), wonach ihm wichtige Akten über den Luftangriff auf zwei Tanklastzüge in der Nähe von Kundus vorenthalten und Berichte unterschlagen worden seien, wies Schneiderhan zurück. „Das finde ich inzwischen ehrenrührig“, sagte der entlassene General. Unterschlagen habe für ihn „den Geschmack des Vorsatzes“. Diesen habe es aber nicht gegeben. „Dass er vorschnell formuliert, ist bekannt“, sagte Schneiderhan über den Minister. „Aber das hier ist schon eine Steigerungsstufe.“

Es gibt derweil neue Vorwürfe gegen Oberst Georg Klein, der den Luftschlag in Kundus angeordnet hat: Der Bundeswehr-Offizier soll die Ermittlungen aktiv behindert haben. Das berichtet der „Stern". Klein habe nach dem Angriff befohlen, Ermittler vom Regionalkommando aus Masar-i-Sharif nicht mit den ersten deutschen Soldaten zum Tatort zu lassen. Sie seien „vor Ort nicht erwünscht“.

Die von Brigadegeneral Jörg Vollmer entsandten Ermittler konnten erst später zum Tatort kommen. Leichen und Leichenteile waren da längst von Angehörigen beerdigt worden. Mithin fehlten Spuren, um zu klären, wie viele Zivilisten starben, heißt es unter Berufung auf vertrauliche Unterlagen der Bundeswehr.

Zudem habe Klein Untergebene angewiesen, im Feldlager Kundus bei Ermittlungen nicht zu kooperieren. So habe der am Bombardement beteiligte Luftleit-Feldwebel W. Militärpolizisten jede Zusammenarbeit verweigert. Informationen zum Sachverhalt gebe es „nur nach Freigabe“ durch den Oberst.

Ein deutscher Soldat ist am Mittwoch bei Kundus durch Beschuss verwundet worden. Eine unbekannte Zahl Aufständischer habe deutsche und belgische Soldaten rund sieben Kilometer westlich ihres Feldlagers mit Gewehren und Panzerfäusten beschossen, erklärte die Bundeswehr.

Die Bundeswehr hatte nach dem Angriff 56 getötete Aufständische gemeldet, sich dabei aber lediglich auf Luftaufnahmen berufen. Von zivilen Opfern war anfangs nicht die Rede. Diese Darstellung bezweifelte Isaf-Oberbefehlshaber Stanley McChrystal in einer von ihmam Nachmittag des 4.September anberaumten Videokonferenz: „Das aus der Luft zu erkennen, ist unmöglich. Das kann nicht korrekt sein. Ich bin zutiefst enttäuscht“, zitiert der „Stern" den US-General aus Nato-Unterlagen. Die Bundeswehr-Meldung sei eine „Albernheit“. McChrystal: „Geben Sie offen zu, dass wir nicht alles wissen. Gehen Sie nicht davon aus, dass wir richtig lagen - und später finden wir dann heraus, dass wir Zivilisten gekillt haben.“ Der Amerikaner kritisierte zudem, dass Einsatzregeln und die Befehlskette nicht eingehalten worden seien.

Klein soll den Luftschlag außerdem befohlen haben, weil Geheimdienstinformationen vorlagen, nach denen die Taliban das Bundeswehrfeldlager erstürmen wollten. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur dpa haben der Bundesnachrichtendienst (BND) und das Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr (KSK) in den Wochen vor dem Luftangriff in Nordafghanistan einen Drei-Stufen-Plan der Taliban aufgedeckt. Die Recherchen sollen in der Bundesregierung bekannt gewesen sein.

Bei dem folgenreichsten von Deutschen verantworteten Militärschlag seit dem Zweiten Weltkrieg starben nach „Stern"-Recherchen 92 Menschen, darunter viele Zivilisten. Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) stellte sich nach Informationen des Magazins am vergangenen Freitag in Kundus erneut hinter Oberst Klein. Vor deutschen Soldaten sagte er: „Ich bleibe dabei: Ich lasse Oberst Klein nicht fallen.“ Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe ermittelt jedoch, ob Klein gegen das Völkerrecht verstoßen und damit ein Kriegsverbrechen begangen hat.