Hamburg. Ein "Super" ist ihr Dauerbegleiter. Dabei kann Birgit Fischer (56) wenig damit anfangen. "Superministerin" war sie in Nordrhein-Westfalen von 1998 bis 2005, verantwortlich für Familie, Frauen und Gesundheit. Später kam Soziales dazu. Da hatte die kluge, aber unprätentiöse Pädagogin aus Bochum schon den bundesweiten Super-Bezirk der SPD (Westliches Westfalen) und die Super-Fraktion im NRW-Landtag als parlamentarische Geschäftsführerin geleitet. Kaum ist sie da, wird's super, konnte man meinen.

Doch es gab Karrierebrüche. Zwei Jahre nach der Abwahl der SPD-Grünen-Regierung im Stammland der Sozialdemokratie wechselte die Gesundheitsexpertin Fischer in den Vorstand der Barmer Ersatzkasse. Und man ahnt es: Super wird es vom 1. Januar 2010 an wieder für Birgit Fischer. Dann löst sie den CDU-Mann Johannes Vöcking an der Barmer-Spitze ab.

Die erste Frau auf dem Chefsessel einer der Top-Krankenkassen wäre schon ein Superlativ. Ein zweiter kommt hinzu: Die Barmer fusionierte mit der Gmünder und wird als Barmer GEK mit 8,6 Millionen Versicherten die größte Kasse im Land.

Eine ehemalige SPD-Superministerin als Gegenspielerin des neuen, jungen Bundesgesundheitsministers Philipp Rösler und seines ebenso neuen wie jungen Staatssekretärs Daniel Bahr (beide FDP). "Mitspielerin", sagt Fischer dem Abendblatt. "Nicht Gegenspielerin." Trotzdem ist die Neue - als Kassenchefin, nicht auf dem Schlachtfeld Gesundheit - die außerparlamentarische Oppositionsführerin. "Natürlich sehe ich die Pläne des Bundesgesundheitsministers kritisch, denn mit einer zunehmenden Privatisierung des Systems wird keine Kosteneinsparung und Qualitätsverbesserung erzielt. Im Gegenteil, letztlich wird der Großteil der Versicherten finanziell schlechter gestellt werden." Das sitzt.

Bislang erklärte Ulla Schmidt (SPD) mit ihrer Mischung aus rheinischem Optimismus und bellender Schnoddrigkeit, warum der Kassenbeitrag immer höher steigt, die Pillen immer teurer, die Doktoren immer dreister, die Krankenkassen selbstständiger werden. Und warum man so lange auf einen Termin beim Augenarzt wartet. Nun haben die smarten Herren Rösler und Bahr das Schmidtsche Regiment übernommen. Die "young boys" werden sie im eigenen Haus genannt, die sich im Unterholz der Lobbygruppen noch die Hörner abstoßen müssen.

"Young boys" - würde Kassenchefin Fischer nie sagen. Dann wäre sie ja eine "old lady". Sie kennt Verträge, Vereinbarungen und Zahlen, will machen, statt bloß zuzuschauen. Und bleibt doch gnadenlos freundlich. Birgit Fischer hat versteckte Koalitionspartner. Sie heißen etwa Horst Seehofer (CSU). Kopfpauschalen à la Rösler statt Kassenbeiträge prozentual zum Einkommen lehnt er ab. Dann würde ja womöglich die Reinigungskraft so viel für die Gesundheit zahlen wie der Manager. Der Rest würde irgendwie über neue Steuermilliarden beglichen.

Fischer sagt: "Momentan streitet sich die Regierungskoalition wie die Kesselflicker. Ein Systemwechsel auf Kopfprämien würde allein zur Aufrechterhaltung des Status quo rund 35 Milliarden Euro an Steuersubventionen benötigen. Hierbei sind der medizinische Fortschritt und die allgemeinen Kostensteigerungen noch gar nicht einberechnet. Zudem wäre das Kopfprämiensystem auch höchst unsolidarisch, rund 60 Prozent der Versicherten könnten ihre Prämie gar nicht bezahlen und müssten als Bittsteller um Staatsunterstützung betteln. Das hat unsere Gesellschaft nicht verdient."

Birgit Fischer ist ein Unikat unter den Vorständen der Kassen-Tanker wie Techniker, DAK, den AOK-Verbänden und ihren starken, kühlen Spitzenkräften. Managerin ja, aber eine mit viel Herz und soliden Wurzeln runter zu denen, die die Zeche zahlen und versorgt sein wollen.

Dass sie sich mehr einmischen will, werden die "young boys" in Berlin spüren. In die neue Kommission zur nächsten Gesundheitsreform haben sie vorsichtshalber keine Kassen-Vertreter eingeladen.

Birgit Fischer würde da ja mitmachen. Denn so übel ist das nicht mit dem Sozialen in Deutschland. "Schließlich geht es darum, die politischen Entscheidungsträger von der Zukunftsfähigkeit unseres bewährten solidarischen Gesundheitssystems zu überzeugen."