Acht von zehn unechten Arzneien sind Potenzpillen. “Die Kunden-Mentalität ist überall dieselbe: Geiz ist geil.“

Hamburg. Wozu sie 1600 Tabletten gegen Herpes braucht, konnte die Frau aus Litauen nicht erklären. Eigentlich sah sie ganz gesund aus. Auch die 400 Flaschen Adrenalin waren reichlich viel allein für die 37-Jährige, die da am Kieler Ostuferhafen stand und nach England weiterreisen wollte. Fünf Fläschchen Betäubungsmittel obendrauf - die Dame durfte die Beamten des Hauptzollamtes zum Staatsanwalt begleiten.

Ein kleiner Fisch, der da den Kieler Fahndern in die Netze ging. Denn der illegale Handel mit rezeptpflichtigen Medikamenten, echten und gefälschten, schickt sich an, den Drogenschmuggel im Umsatz abzulösen. "Das Internet hat dazu geführt, dass viele Deutsche auch grenzübergreifend vor allem Potenzmittel, Haarwuchsmittel und Schlankmacher bestellen", sagte der Experte Axel Thiele vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) dem Abendblatt.

Acht von zehn entdeckten Fälschungen sollen die Lust steigern. "Da kostet die Pille Viagra manchmal nur einen Dollar, während hier bis zu 15 oder 16 Euro verlangt werden", sagte Thiele. "Die Mentalität der Kunden ist überall dieselbe: Geiz ist geil."

Im besten Fall einer Fälschung ist der Geiz wirkungslos. Dann stecken harmlose Substanzen in einer glänzend gewachsten Tablette, nur keine sexuelle Stimulanz. Im ungünstigen Fall ist mit schweren Nebenwirkungen zu rechnen - bis zum Tod.

Laut Bundeskriminalamt wurden Ende November bei Kontrollen von Interpol in 26 Ländern ("Operation Pangea II") 995 Postsendungen beschlagnahmt. 72 Websites für Arzneimittel schalteten die Ermittler ab. Die Zahl der einkassierten Pillensendungen hat sich 2008 versechsfacht. EU-Industriekommissar Günter Verheugen (SPD) will deshalb das sogenannte Pharmapaket schnell beschließen. Verheugen sagte der "Welt", der Weg einer Arznei von der Herstellung bis zum Verkauf müsse "minutiös" zurückverfolgt werden können. Dazu brauche man Sicherheitszeichen auf den Verpackungen.

Doch Arzneimittelexperte Thiele fürchtet, dass auch die Fälscher diese Zeichen bald im Repertoire hätten. Die Zollbeamten müssen sich bei Stichproben meist auf ihren Riecher verlassen. Sie schütteln Sendungen aus China, Indien oder Südamerika und hoffen, ein auffälliges Rascheln zu hören. Es gibt Röntgengeräte, die illegale Pillen finden, selbst wenn sie zusätzlich in schwarze Folie gehüllt sind. Diese Geräte sind nach Angaben des Arzneimittel-Experten Prof. Harald Schweim (Universität Bonn) allerdings sehr teuer.

Mona Tawab vom Zentrallaboratorium Deutscher Apotheker sagt deshalb: "Der Zoll hat nicht genügend Ressourcen, um dem illegalen Handel entgegenzuwirken." Schweim schätzt, dass der Profit bei gefälschten Viagra-Pillen zehnmal größer sei als der für Drogendealer bei Heroin. "Und manch Internetanbieter legt auch mal eine Probierpackung Viagra dazu", sagt die Pharmakologin Tawab. Sie glaubt, dass "50 Prozent der Lifestyle-Präparate gefälscht sind".

Die seriösen Pillenhändler wehren sich gegen einen Generalverdacht: "Nur wer Apotheker ist, kann eine Versandapotheke betreiben", sagt Kerstin Kilian, Sprecherin des Bundesverbandes Deutscher Versandapotheken. Doch bei Bestellungen im Ausland muss man bisweilen nur einen Fragebogen ausfüllen, der eine medizinische Beratung vorgaukelt und ein Rezept ersetzt.

Einen akuten Fall von Betrug beklagten Kraftsportler, die den Muskelwachstum-Beschleuniger Somatropin geordert hatten. Der Shop in China lieferte ein Präparat, das Cortison enthielt. Das führt eher zu Muskelschwund. Die Zollfahndung Nürnberg zog im Oktober 800 Ampullen für je 300 Euro aus dem Verkehr.