Kirchen sehen Signalwirkung. Kippt jetzt auch die Bäderordnung in Schleswig-Holstein?

Karlsruhe. Die Kläger vermochten ihre freudige Überraschung nicht zu unterdrücken: Ein beinahe ungläubiges "Oh" entfuhr gestern im Karlsruher Gerichtssaal den Vertretern von evangelischer und katholischer Kirche, als die Bundesverfassungsrichter in unerwarteter Deutlichkeit den Sonntag als Tag der "Arbeitsruhe" für besonders schutzwürdig erklärten.

In dem Urteil zum Berliner Ladenöffnungsgesetz bezeichnete das höchste deutsche Gericht Regelungen, die eine Ladenöffnung an allen vier Adventssonntagen in Berlin erlauben, als verfassungswidrig. Dies verletze nicht nur den grundgesetzlich garantierten Schutz des Sonntags, sondern auch das Recht auf Religionsfreiheit. Bloße wirtschaftliche Interessen der Geschäftsinhaber und das "Shoppinginteresse" der Kunden genügten grundsätzlich nicht, um die Ladenöffnung an Sonn- und Feiertagen zu erlauben. Der Berliner Senat bekam bis 2010 Zeit für eine Neuregelung.

Der Richterspruch unterstütze die Überzeugung der Kirchen, dass der Mensch nicht durch Arbeit und Leistung allein definiert werde, sagte Bischof Gerhard Ulrich von der Nordelbischen Kirche. Robert Zollitsch, Vorsitzender der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, nannte das Urteil ein "klares Signal gegen überbordenden Konsum". Auch aus den Parteien kam überwiegend Zustimmung. "Es muss ja nun wirklich nicht sein, dass auch noch die Adventssonntage zu Shoppingevents werden", sagte Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU). Nicht einmal der Hauptverband des Einzelhandels sah Anlass zu klagen: "Wir können mit dem Urteil leben", sagte Verbandssprecher Hubertus Pellengahr.

Der Hamburger SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs forderte vom schwarz-grünen Senat der Hansestadt, auf Sonntagsöffnungen künftig ganz zu verzichten. "Der inhabergeführte Einzelhandel hält schlicht nicht sieben Tage Öffnung am Stück durch." Es profitierten nur große Ketten und Einkaufscenter.

Scharfe Kritik äußerte allein Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD): "Wir haben versucht, ein modernes Gesetz zu schaffen, das den veränderten Lebensbedingungen angepasst war." Mit seiner "ohnehin konservativen Sichtweise auf bestimmte Dinge" habe das Gericht derartige Argumente ignoriert.

Die Kirchen im Norden erhoffen sich von dem Urteil Rückenwind für ihre in der vergangenen Woche eingereichte Klage gegen die sogenannte Bäderverordnung: Die erlaubt es unter anderem, dass Geschäfte in Tourismusorten Schleswig-Holsteins an 45 Sonntagen im Jahr öffnen.