Eigentlich wollte sich Brandenburgs erste rot-rote Koalition nach ihrem Amtsantritt vor gut drei Wochen in die Arbeit stürzen, um alle Vorverurteilungen schnell Lügen zu strafen. Stattdessen lähmen die Schlagzeilen über nicht enden wollende Stasi- Fälle in den Reihen der Linkspartei.

Potsdam. 20 Jahre nach dem Mauerfall sei der Zeitpunkt für eine Versöhnung mit den SED-Erben gekommen, hatte Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) seine überraschende Hinwendung zur bis dahin gemiedenen Linken begründet. Jetzt gerät er durch immer neue Enthüllungen auf Seiten des Regierungspartners zunehmend unter Druck.

Dass der Landesvorsitzende und die Landtagsfraktionschefin der Linken, Thomas Nord und Kerstin Kaiser, einst als Inoffizielle Mitarbeiter (IM) dem DDR-Ministerium für Staatssicherheit (MfS) dienten, ist seit langem bekannt. Nun aber gesellten sich noch zwei neue brisante Fälle hinzu. So war offensichtlich der Lausitzer Landtagsabgeordnete Gerd-Rüdiger Hoffmann (IM „Schwalbe“) als Schüler und Angehöriger der Grenztruppen für das MfS tätig, hatte aber seine Genossen trotz einer seit 1991 geltenden Parteiregel nicht darüber informiert.

Kurz darauf wurde publik, dass auch die Linkspolitikerin und Landtags-Vizepräsidentin Gerlinde Stobrawa (IM „Marisa“) wohl intensivere Stasi-Kontakte hatte, als bisher von ihr zugegeben. Damit steigt die Zahl der bekannten stasi-belasteten Abgeordneten in der 26-köpfigen Linksfraktion auf 5.

„Keiner hat ein Interesse, dass diese Diskussion weitergeht“, stöhnt SPD-Fraktionschef Dietmar Woidke und fügt beschwörend hinzu: „Wir wollen uns auf die Regierungsarbeit konzentrieren.“ Auch Woidkes Amtskollegin von der Linken, Kaiser, versichert: „Wir wollen inhaltlich arbeiten.“ Dafür hatte Ministerpräsident Platzeck kürzlich in seiner Regierungserklärung noch einmal die Ziele vorgegeben: neben der Wirtschaftsförderung mehr soziale Gerechtigkeit, ein solider Landeshaushalt, bessere Bildungschancen für Kinder und Jugendliche.

Dagegen bewegt die Öffentlichkeit derzeit mit Blick auf das Stasi- Thema eher die Frage „Wer ist der Nächste?“. Zwar lobte Platzeck ausdrücklich den konsequenten und offenen Umgang der Linken mit den jüngst aufgeflogenen Fällen, sie sind jedoch nicht einfach aus der Welt zu schaffen. So forderte die Partei- und Fraktionsspitze den 57- jährigen Hoffmann auf, sein Mandat niederzulegen, der aber will daran festhalten. Bestärkt wird er von seinem Anwalt, dem letzten DDR- Innenminister und damaligen CDU-Politiker Peter-Michael Diestel.

„Die Stasi jagt in Potsdam die Stasi, das ist ein Witz“, argumentiert Diestel mit Blick auf die ebenfalls stasi-belasteten Spitzenpolitiker der Linken, die Hoffmanns Rückzug fordern. Sein Mandant würde einen solchen Schritt allenfalls erwägen, wenn auch Parteichef Nord und die Fraktionsvorsitzende Kaiser ihre Abgeordnetensitze im Bundes- beziehungsweise Landtag aufgäben. Für den Fall eines Ausschlusses Hoffmanns aus der Fraktion kündigte Diestel eine Klage vor Gericht an.

Die 60-jährige Stobrawa wiederum lässt derzeit ihr Amt ruhen und will in dieser Woche im Landtag den Fraktionen ihren Fall erläutern. Sie gehört dem Parlament bereits seit 1990 an und hatte 1991 ihre Stasi-Kontakte offenbart. Wie weit die gingen, war aber der damals darüber urteilenden Ehrenkommission nicht hundertprozentig klar. Deshalb sah sie davon ab, Stobrawa die Rückgabe ihres Mandates zu empfehlen.

Bei der Opposition wächst derweil die Empörung. Jeder neue Stasi- Fall bei der Linken sei auch ein „Platzeck-Fall“, wettert CDU-Landes- und Fraktionsvorsitzende Johanna Wanka, die das Bündnis mit der Linken ohnehin als Tabubruch und Verrat an der friedlichen Revolution von 1989 betrachtet. Inzwischen haben alle fünf Landtagsfraktionen die Überprüfung ihrer Abgeordneten bei der Stasi-Unterlagen-Behörde beantragt. Und im nächsten Jahr soll Brandenburg als letztes der neuen Länder einen Stasi-Beauftragen bekommen.