Brüssel. Herman Van Rompuy, der neue Vorsitzende der EU-Regierungschefs, ist immer für Überraschungen gut. Bei einer Pressekonferenz mit seinem spanischen Amtskollegen José Luis Zapatero trug Belgiens Ministerpräsident kürzlich ein selbst verfasstes Gedicht vor: "Drei Wellen zusammen. Sie rollen in den Hafen. Das Trio ist hier." Zapatero nickte höflich.

Van Rompuy ist ein Politiker, der in kein Schema passt. Der studierte Betriebswirt und Philosoph ist ein stiller, asketischer und tiefgläubiger Mensch, dem Getöse und das Getue vieler Politikerkollegen zuwider sind. "Wir sind nicht ewig und nicht unersetzlich. Für manche ist das ein Problem. Nicht für mich", sagte er einmal. Dreimal im Jahr zieht sich der 62-Jährige in Exerzitien zurück, im Oblaten-Kloster Affligem in Brabant. Dann betet er, dichtet und schreibt Bücher wie "Das Christentum - eine moderne Lehre". Auf seiner Homepage veröffentlicht Van Rompuy regelmäßig ein "Gedicht der Worte", meistens eigene 17-silbige Kurzgedichte über die Natur (Haiku) und minutiöse Reiseberichte. Im Sommer war der Vater von vier Kindern mit seiner Frau in Australien. Sein letzter Eintrag dort lautet: "Ich bin ein Australier geworden. Wenigstens ein bisschen. Nächste Woche ist die Harmonie vorbei, es beginnen wieder die Feindseligkeiten!"

Seit Jahresbeginn ist Van Rompuy belgischer Ministerpräsident. Das wollte er eigentlich gar nicht werden, als Präsident der belgischen Abgeordnetenkammer bereitete er sich schon auf seinen Ruhestand vor. Aber der ewige Streit zwischen Wallonen und Flamen um Sprache und Geld drohte zu eskalieren, König Albert II. sah nur einen Ausweg: den flämischen Christdemokraten.

Der schaffte in den vergangenen elf Monaten das Unmögliche: Flämische und wallonische Politiker reden wieder miteinander und machen gemeinsam Politik. Sechs verschiedene Regionalparlamente und mehr als 50 Minister hat Van Rompuy gezügelt und auf Kurs gebracht.

Wie macht er das? Der Mann kann zuhören, er kann sich zurücknehmen, sein Wort gilt - und er will keine Verlierer produzieren. "Eine Verhandlungsrunde, die mit einer unterlegenen Partei endet, ist nie eine gute Verhandlungsrunde", sagt er. Van Rompuy gilt als gewiefter, diskreter und erfolgreicher Verhandlungsführer. Er baut Brücken und spielt sich nie in den Vordergrund. Das hat die EU-Regierungschefs bei ihrer Wahl - neben dem üblichen Proporzdenken - maßgeblich beeinflusst.

Als erster Ratspräsident muss Van Rompuy das neue Amt in Brüssel jetzt hoffähig machen. Viele Kompetenzen sind noch ungeklärt, das ist Konfliktpotenzial. Wer wird die EU bei Treffen mit Drittstaaten vertreten? Wie groß sind die Weisungsrechte gegenüber den Ministern aus den Nationalstaaten? Inwieweit darf der Ratspräsident selbst gestalten? Kniffelige Fragen. Der Konsensmensch Van Rompuy muss sie jetzt lösen. Die EU-Regierungschefs trauen ihm das zu.