Sozialdemokraten wählen Führungsspitze: Parteichef erhält 94,2 Prozent der Stimmen. Dämpfer für Generalsekretärin Andrea Nahles.

Dresden. Nach der verheerenden Niederlage bei der Bundestagwahl hat sich die SPD bei ihrem Parteitag in Dresden personell neu aufgestellt. Der ehemalige Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (50) ist neuer Parteivorsitzender. Die Delegierten wählten ihn am Freitagabend mit 472 von 501 gültigen Stimmen (94,2 Prozent) zum Nachfolger von Franz Müntefering. Gabriel ist bereits der sechste SPD-Chef in fünf Jahren. Ihm zur Seite gestellt wurde die Parteilinke Andrea Nahles (39) als neue Generalsekretärin.

Sie erzielte mit 69,6 Prozent der Stimmen das schlechteste Ergebnis bei der Wahl der engeren Führung. Zu Gabriels Stellvertretern wurden die nordrhein-westfälische Landeschefin Hannelore Kraft (90,2 Prozent), Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (89,6), Sozialministerin Manuela Schwesig (87,8) aus Schwerin und - mit dem schlechtesten Ergebnis der Stellvertreter - der frühere Arbeitsminister und jetzige Hamburger SPD-Chef Olaf Scholz gewählt. Er kam auf 85,7 Prozent.

In seiner Bewerbungsrede hatte Gabriel Fehler in den elf Jahren SPD-Regierungszeit eingeräumt und für eine Reform der Partei plädiert. Dazu sollen unter anderem mehr Mitsprache für die Basis und eine inhaltliche Neuausrichtung gehören. Die SPD habe über die Jahre an Wählerstimmen verloren, weil sie einem falschen Bild von der politischen Mitte gefolgt sei. "Statt die Mitte zu verändern, haben wir uns verändert", beklagte er. Die SPD müsse die Mitte der Gesellschaft aus eigener Kraft wieder zurückerobern und so nach links rücken.

Zuvor hatte Müntefering (69) eine Mitschuld der Parteispitze an der Niederlage bei der Bundestagswahl eingeräumt. Die SPD sei für die Wähler "nicht interessant genug" gewesen, sagte er. "Die Niederlage war selbst verschuldet." Ein letztes Mal rief er seine Partei zur Kampfbereitschaft auf: "Wir kommen wieder." In der Aussprache musste die SPD-Führung heftige Vorwürfe der Basis einstecken, dass sie an dem vom früheren Bundeskanzler Gerhard Schröder eingeschlagenen politischen Kurs festgehalten hatte. Eine zentrale Forderung war die Rückbesinnung auf die Grundwerte der Partei. Prominente Sozialdemokraten forderten ausdrücklich die Abkehr von der Rente mit 67.

In Hamburg spitzt sich die SPD-Affäre um gefälschte Dokumente derweil zu. Die SPD-Politiker Mathias Petersen und Thomas Böwer erstatteten Anzeigen. In den Schreiben hieß es, sie hätten ihren Genossen Bülent Ciftlik wegen Beihilfe zu Scheinehe-Schließungen angezeigt.