Zeitzeugen, Staatsmänner und Staatsfrauen, Einwohner und Gäste aus der ganzen Welt feiern in der Hauptstadt.

8.00 Uhr: Der Tag beginnt ganz staatsmännisch. Und doch wieder nicht, denn schließlich umarmen sich hier Frauen: Zum Auftakt der Feierlichkeiten zum 20. Jahrestag des Mauerfalls trifft Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit US-Außenministerin Hillary Clinton zusammen. "Ich freue mich sehr, an diesem historischen Ereignis in Berlin zu sein", sagt Clinton im Kanzleramt.

10.00 Uhr: Natürlich ist nicht alles Jubel am Schicksalstag der Deutschen. In der Kapelle der Versöhnung an der Bernauer Straße - dort, wo 1985 eine der schönsten Kirchen der Stadt im Todesstreifen gesprengt wurde - findet eine Andacht mit geladenen Gästen statt. Die Gebete werden nach draußen übertragen. Drinnen spricht Ernst Cramer, 95, der Vorsitzende der Axel-Springer-Stiftung, der die Novemberpogrome 1938 noch mit eigenen Augen gesehen hat. "Wir danken Gott", sagt Cramer mit leiser Stimme, "dass Er mit der Maueröffnung vor 20 Jahren den vielen früheren 9. Novembern einen Gegenpunkt setzte."

10.03 Uhr: Fast zeitgleich und nur wenige Kilometer entfernt geht es noch einmal gen Westen wie vor 20 Jahren. In einem Korso fahren 20 Trabants vom Ostbahnhof durch Friedrichshain, Mitte und Prenzlauer Berg. Die Route führt zum Potsdamer Platz, zur Siegessäule und über die Straße Unter den Linden. Fahrer aus Holland, aus dem Allgäu, aus Braunschweig, Thüringen und Berlin beteiligten sich.

11.11 Uhr: Am Checkpoint Charlie das übliche wilde Gedrängel von Reisebusgruppen, älteren Individualtouristen und leicht lethargischen Schülermassen. Ein Paar aus Boston besorgt sich bei der "Visa-Abteilung" die "Original Ausreisestempel". Die beiden sind begeistert. Sie waren zehn Jahre alt, als die Mauer fiel. "Aber wir haben sogar als Kinder gemerkt, das ist ein großes Ding."

13.00 Uhr: An der Leipziger Straße beginnt die nachgebaute Mauer, die am Abend noch einmal fallen soll, für die Angereisten und die Berliner. Ben Souici ist seit zwei Tagen in der Stadt, die Feier auf den Straßen wollte er sich auf keinen Fall entgehen lassen, da kann es so kalt sein, wie es will. Seine Frau posiert mit dem drei Monate alten Sohn Sabri vor den bunten Dominosteinen. "In Berlin", sagt Ben Souici, "ist die Mauer ein Museum, etwas, das man sich anschaut, aber nichts, das einem mehr Angst macht."

13.30 Uhr: Der Weg zum Brandenburger Tor wird von der Wilhelmstraße aus sorgfältigst bewacht. John Flaur aus Kalifornien muss seinen Reisepass vorzeigen, damit er durch die Absperrung darf. Der knapp Fünfzigjährige ist ein bisschen irritiert. Vor allem, als man ihn und seine Frau dann noch mit Polizeischutz zu Starbucks begleitet, wo die beiden einen Kaffee trinken wollen. "Ohne Pass kein Passieren?", lacht John. "Hey, das ist doch genau wie am 8. November 1989."

15.00 Uhr: Das Volk hat sich zeitig eingefunden auf der Bösebrücke an der Bornholmer Straße. Ein paar Hundert Menschen stehen im eiskalten Nieselregen auf der westlichen Seite. Einer zieht seinen DDR-Reisepass aus der Tasche. Ein Stempel vom Grenzübergang Bornholmer Straße ist drin. "Ick hatte nur meinen Schlafanzug an und einen Trainingsanzug drüber, paar Latschen. Ich wollte doch bloß mal gucken! Ick hatte 'ne Frau und 'nen Säugling zu Hause!" Als dann der Zug mit den "Promis" sich nähert, kommen die ersten Rufe, die man auf der Bahnhofsseite nicht recht versteht. Nachher wird es klar. Es gibt einen Namen, den sie hier immer wieder rufen. Es ist der des früheren Generalsekretärs der KPdSU, Michail Gorbatschow, den man kaum erkennt, weil er sich eine blaue Schiebermütze aufgesetzt hat. "Gorbi, Gorbi, Gorbi, Gorbi!" Als der Tross mit Angela Merkel an der Spitze vom Osten her auf die Brücke kommt, schwillt die Lautstärke an. Gorbatschow sagt nicht viel, aber die Dankbarkeit der Leute tut ihm sichtbar gut. Merkel wird flankiert von Joachim Gauck, dem früheren Leiter der Stasi-Unterlagen-Behörde, dem polnischen Ex-Präsidenten und früheren Solidarnosc-Führer Lech Walesa und dem Liedermacher Wolf Biermann, der freudig grient.

In der Mitte der Straße haben sie ein riesiges Foto aufgestellt, von damals natürlich, als die Brücke gerammelt voll war mit Menschen. Die Bundeskanzlerin, die seit dem frühen Morgen Termine absolviert, bahnt sich hemdsärmelig einen Weg. "So, nun wollen wir mal kurz erklären, was hier jetzt passiert, damit jeder Bescheid weiß. Denn heute, an diesem Tag, wollten wir unbedingt eine Begegnung mit dem Volk organisieren, aber oft kann man das Volk nicht sehen, weil so viele Fotografen davorstehen!"

15.20 Uhr: Die Mauerfall-Fanmeile hin zum Brandenburger Tor ist noch relativ ruhig. Doch mit jeder Minute, die vergeht, scheint sich der Strom an Menschen, der von Unter den Linden kommt, zu verdichten - synchron zum Regen. Die Stadt hat auf die klassischen Wurst- und Bierbuden verzichtet - zur großen Feier darf's ein bisschen edler sein. Und so sind die runden Stehtische vor dem großen Barzelt mit glänzenden Plastikdecken aus Schwarz und Gelb (Zufall?) dekoriert. Nicole, Nele und Annika, Schülerinnen aus Stralsund und Perleberg, sind sehr aufgeregt. Sie haben ein ganzes Jahr auf diesen Tag hingearbeitet, mit dem Jugendprojekt "Reporter 89", das sie am Morgen im Haus der Geschichte präsentieren durften. Jetzt wären die drei gerne durchs Brandenburger Tor marschiert. "So als symbolischer Moment", sagt Annika. Aber da ist leider abgesperrt.

17.25 Uhr: Im Schloss Bellevue wird es hochoffiziell. Bundespräsident Horst Köhler empfängt Staatsgäste aus aller Welt in seinem Amtssitz. Er würdigte die Ereignisse vom 9. November als "Epochenwende zu Freiheit und Demokratie".

19.00 Uhr: Immer mehr Menschen strömen Richtung Brandenburger Tor. Trotz des Nieselregens und der unangenehmen Temperaturen. Niemand will sich den Höhepunkt des Tages im Zentrum der Stadt entgehen lassen.

19.32 Uhr: Die Bundeskanzlerin und ihre Staatsgäste schreiten mit Regenschirmen bewaffnet durch das Tor. Stardirigent Daniel Barenboim eröffnet das Fest mit der Staatskapelle Berlin, die Staatsgäste sprechen würdige Worte.

20.31 Uhr: Lech Walesa gibt dem ersten Styroporblock einen Stoß. Die Mauer fällt - nach 20 Jahren - ein zweites Mal.