In Karlsruhe steht der deutsche Sozialstaat vor Gericht. Vorsitzender Hans-Jürgen Papier will “ein menschenwürdiges Dasein“.

Hamburg. In Karlsruhe steht der deutsche Sozialstaat auf dem Prüfstand: Das Bundesverfassungsgericht soll darüber entscheiden, ob die Hartz-IV-Regelsätze für Kinder deren tatsächlichen Bedarf abdecken. Der Prüfmaßstab sei "ein menschenwürdiges Dasein", sagte der Gerichtspräsident Hans-Jürgen Papier zum Verhandlungsbeginn. Grundgesetz und Sozialstaatsprinzip verpflichteten den Staat, das Existenzminimum zu gewährleisten. Ob dies bei Hartz IV der Fall ist, bezweifelte Papier. Die errechneten Mittel für Kinder reichten schlicht nicht aus, sagte er. Weil dem Verfassungsgericht Grenzen vorgegeben seien, werde es aber keine Empfehlungen "auf Heller und Cent" geben.

Bei der Anhörung machte Papier auch deutlich, dass es um mehr als die Regelleistungen für Kinder gehe. Ihre Höhe leitet sich von denen für Erwachsene ab. Sollten die Richter also die für Kinder bemängeln, würde dies das gesamte Hartz-IV-System infrage stellen. Dabei geht es vor allem darum, ob die Höhe der Regelsätze auf realitätsfernen Berechnungsmethoden beruht. Die Methoden hätten sich zwar verfeinert, reichten aber nicht aus, so Papier.

Zurzeit erhält ein Erwachsener monatlich 359 Euro. Kinder bekommen hingegen je nach Alter 60 beziehungsweise 70 oder 80 Prozent dieses Regelsatzes. Die Kläger halten diese Regelung für ungerecht. Thomas Kallay, einer der Kläger, sagte: "Ich möchte Gerechtigkeit. Keine Pauschalen." Kallay forderte, dass die Regelsätze transparent errechnet werden sollten. Hinsichtlich der Höhe der Leistungen sagte Kallays Anwalt Lutz Schaefer: "Es langt nicht mehr. Wir haben eine wachsende Kinderarmut." Die Kallays und zwei weitere Familien hatten gegen die Regelsätze von Kindern geklagt, und sowohl vom Bundessozialgericht als auch vom Hessischen Sozialgericht recht bekommen. Weil sie nicht gesondert berechnet, sondern pauschal von den Hartz-IV-Beträgen für Erwachsene abgeleitet worden sind, halten beide Gerichte die geltende Regelung für verfassungswidrig. Sie legten sie darum den Verfassungsrichtern zur Prüfung vor.

Für die Bundesregierung steht nun viel auf dem Spiel. Sollten die Richter die Hartz-IV-Regelsätze für verfassungswidrig erklären, würden auf sie erhebliche Zusatzkosten zukommen. So wundert es nicht, dass sie gestern die Berechnung der Regelsätze als "plausibel und sachgerecht" verteidigte. Ihre Höhe sei ausreichend und beruhe auf neuen wissenschaftlichen Methoden, sagte Sozialstaatssekretär Detlef Scheele. Der Generalsekretär des Caritasverbands, Georg Cremer, fordert die Bundesregierung hingegen auf zu handeln, unabhängig davon wie das Gericht entscheide.

Die derzeitige Pauschalregelung lasse außer Acht, dass Kinder einen eigenen Bedarf an Schul-, Freizeit- und Bekleidungskosten hätten, kritisierte auch Wolfgang Gern von der Nationale Armutskonferenz, im SWR.

Die Kinder litten unter Ausgrenzung, glaubt der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, Ulrich Schneider. Weder Klavierunterricht noch eine Mitgliedschaft im Sportverein seien möglich, sagte er im ZDF-"Morgenmagazin". Die Bezüge müssten darum bis zu 33 Prozent angehoben werden. Nach Schneiders Einschätzung würde dies Mehrkosten im Milliardenbereich verursachen.