In Bayern halten sich Gerüchte über eine Rebellion gegen den Ministerpräsidenten. Doch der Chef der CSU gibt sich gelassen.

Hamburg/München. Glaubt man Horst Seehofer, kann sich die CSU noch reichlich Zeit lassen bis zur Analyse ihres miserablen Abschneidens bei der Bundestagwahl. Die Aufarbeitung der 42,5 Prozent soll erst weit nach den schwarz-gelben Koalitionsverhandlungen im Bund stattfinden: Am 16. November, hieß es gestern, gehe es an die Untersuchung des Ergebnisses. Halb beschwichtigend, halb scherzhaft fügte der Parteichef noch hinzu: Die Öffentlichkeit werde mit der Analyse noch viel Freude haben.

Jedes andere Vorgehen gefährde die Autorität des bayerischen Ministerpräsidenten am Berliner Verhandlungstisch, so die offizielle Sprachregelung der Partei. Doch wenn alles nach Plan läuft, wird die Koalition aus Union und FDP bereits am kommenden Wochenende stehen. Danach könnte die Analyse also umgehend beginnen. Aber Seehofer spielt offenbar auf Zeit, wohl ahnend, was auf ihn zukommen wird.

Denn Rücksicht nimmt die Partei auch jetzt schon nicht auf den in der Hauptstadt verhandelnden Vorsitzenden. Der Groll über Seehofers verkorksten Wahlkampf und seinen als autoritär und selbstherrlich geltenden Führungsstil wächst. Und seine jetzige Entscheidung, erst in knapp vier Wochen die Wahl thematisieren zu wollen, könnte den Unmut weiter verstärken. Insbesondere an der Basis sprechen die Parteifunktionäre längst offen über ihren Frust mit dem Vorsitzenden.

In einer Mittlerfunktion zwischen Basis und Parteispitze steht Markus Ferber. Der Chef der CSU-Gruppe im Europaparlament ist auch Bezirksvorsitzender der CSU Schwaben. Er sagt: "Die Partei muss glaubwürdiger werden. Das ist, was die Basis einfordert. Ein kleiner Parteitag reicht nicht für die Wahlanalyse." Die Aufarbeitung müsse länger dauern. Mit dem jetzigen Zeitplan habe er zwar kein Problem, so Ferber im Abendblatt. Aber: "Ich habe Sorgen, dass die versprochene Analyse genauso mager ausfällt wie nach der Bundestagswahl 2005. Ein 'Ich leide wie ein Hund', mit dem sich damals Edmund Stoiber entschuldigt hat, wird diesmal nicht reichen." Gleichzeitig warnt Ferber vor einer Diskussion, ob Seehofer als Partei- und Regierungschef gehalten werden solle: "Eine Personaldebatte bringt uns jetzt nicht weiter. Die würde nur die Wahlanalyse verhindern."

Dass das Wort Putsch in der CSU immer wieder fällt, will niemand in der Partei bestreiten. Auch Ferber nicht. Er sagt aber: "Die Zahl der Putschisten ist übersichtlich. Und ich gehöre nicht zu ihnen." Es heißt, die Seehofer-Rebellen seien nicht an den wichtigen Schnittstellen der Partei verankert und würden nie den Rückhalt der CSU gewinnen.

Bereits in den vergangenen Wochen hatten Vertreter der Parteibasis immer wieder versucht, eine Debatte über Seehofer anzustoßen. Prominentester Vertreter dieses Versuchs war der bis dahin auf Landesebene unbekannte Kurt Taubmann, der CSU-Ortsvorsitzende aus dem fränkischen Wieseth. Er hatte Seehofer in einem Brief nur an eine Aussage vom November 2008 erinnert. Damals habe der Parteichef bei einer Parteiveranstaltung in Erlangen gesagt, dass er bei einer weiteren Verschlechterung der Wahlergebnisse zurücktreten werde, schrieb Taubmann. Bei der Bundestagswahl hätte die CSU noch einmal 0,9 Prozentpunkte gegenüber der Landtagswahl 2008 verloren. Taubmann wörtlich: "Ich möchte Sie an Ihr Wort erinnern. Bitte teilen Sie mir mit, wie weit Sie als Ministerpräsident und Vorsitzender der CSU Verantwortung übernehmen und Konsequenzen aus Ihrem noch weit schlechteren Abschneiden ziehen."

Der Parteichef ließ seinen Referenten antworten: Seehofer habe den Brief "aufmerksam zur Kenntnis genommen". Aber wegen der Koalitionsverhandlungen, "bei denen sich der Parteivorsitzende und Ministerpräsident kraftvoll für bayerische Interessen einsetzt, kann er Ihnen leider nicht persönlich antworten". Die Bürgernähe, die Seehofer in seiner erneuerten CSU versprochen hatte, konnten große Teile der Basis in diesem Verhalten nicht erkennen. Dann galt Seehofer nicht nur politisch, sondern auch gesundheitlich als angeschlagen. Als er am vorvergangenen Wochenende drei Tage lang wegen eines "grippalen Infekts" ausfiel und sich für eine Untersuchung in ein Krankenhaus begab, fühlten sich Parteifreunde umgehend an Seehofers lebensgefährliche Herzmuskelerkrankung von 2002 erinnert.

Kurz zuvor hatte Innenstaatssekretär Bernd Weiß aus Frust über Seehofer seinen Posten hingeschmissen. Auch dieser Vorgang zeigt, wie sich das Bild der CSU verändert hat. Früher hätte ein derartiger Rücktritt ein Achselzucken in der Partei bewirkt. Doch in diesem Fall löste eine Demission in der zweiten Reihe erneut Unmut über Seehofers Umgangsstil aus. Nur Seehofer selbst blieb bislang gelassen: "Ich hatte, seit ich Parteivorsitzender bin, noch keinen solchen Rückhalt wie heute", sagte er gestern.