Das Abendblatt nennt Streitpunkte und Schnittmengen: Wofür Union und FDP stehen, was sie trennt und verbindet - und worauf sie sich schließlich einigen könnten.

Berlin. Union und FDP können elf Jahre nach dem Ende der letzten schwarz-gelben Koalition erneut eine Regierung bilden. Die Koalitionsverhandlungen bergen aber einigen Konfliktstoff. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und CSU-Chef Horst Seehofer haben bereits vor der Bundestagswahl einigen FDP-Forderungen deutliche Absagen erteilt. Das Abendblatt benennt Schnittmengen und Streitpunkte.

Haushalt/Steuern: Die FDP hat gefordert, sofort nach der Wahl eine große Steuerstrukturreform in Angriff zu nehmen. Das lehnen CDU und CSU ab. Die Union will zuerst die "kalte Progression" abmildern. Um das zu erreichen, soll der Eingangssteuersatz von 14 auf 12 Prozent abgesenkt werden und der Spitzensteuersatz erst ab 60 000 Euro Jahreseinkommen greifen. Die CSU will damit bereits 2011 beginnen, die CDU wollte sich bislang nicht festlegen. Auch gestern weigerte sich Angela Merkel wieder, ein konkretes Datum zu nennen. Diesem Finanzierungsvorbehalt werden sich FDP und CSU wegen der hohen Staatsverschuldung (bis 2013 fehlen dem Bund rund 300 Milliarden Euro) anschließen müssen. Denn erst im November kommt die Steuerschätzung, die eine Kalkulation der Einnahmen für das laufende und kommende Jahr erlaubt. Dann aber soll der Koalitionsvertrag schon stehen.

Dafür dürften sich CSU und FDP mit ihrer Forderung nach Änderung der Erbschafts- und Unternehmenssteuer durchsetzen. Merkel hat gestern bereits angekündigt, prüfen zu wollen, ob diese Steuern "krisenverschärfende Elemente" enthalten. Ebenso ist davon auszugehen, dass sich FDP und Union auf die Anhebung des steuerlichen Grundfreibetrags für Kinder einigen. Die Forderung findet sich in den Wahlprogrammen beider Seiten. Damit ließe sich schnell ein Zeichen setzen, dass man es mit Entlastungen ernst meint. Einigen dürfte man sich angesichts der Milliardenlöcher in den Sozialkassen auch auf eine mittelfristige Erhöhung der Beiträge zur Renten-, Arbeitslosen- und Krankenversicherung.

Arbeit: Merkel hat bereits im Wahlkampf die FDP-Pläne für eine Lockerung des Kündigungsschutzes vom Tisch gewischt. Westerwelle wird nachgeben müssen, da die CDU-Vorsitzende ihr sozialpolitisches Profil gerade in einer schwarz-gelben Koalition schärfen will. Auch eine Auflösung der Bundesagentur für Arbeit dürfte die Union kaum mittragen. Einigen könnten sich Union und FDP hingegen auf eine Anhebung des sogenannten Schonvermögens für Hartz-IV-Empfänger zur Sicherung der Altersrücklagen, die auch Westerwelle gefordert hat. Beim Thema Mindestlohn dagegen könnte die FDP mit Unterstützung des Wirtschaftsflügels der Union mehr Erfolg haben und die Ausweitung begrenzen. Die bisher beschlossenen Mindestlöhne werden aber nicht mehr zurückgenommen. Das hat Merkel gestern nachdrücklich versichert.

Gesundheit: Spannend wird es bei den Verhandlungen um die Zukunft des Gesundheitsfonds werden. Die FDP will die gesetzliche Krankenversicherung privatisieren. Flächendeckend soll es nur eine Basisabsicherung geben. Die Restrisiken soll jeder Bürger über zusätzliche Verträge absichern. Das ist mit der Union nicht zu machen. Kanzlerin Merkel hat gestern betont, die Grundstruktur des Gesundheitsfonds werde unangetastet bleiben. Doch kann es sein, dass sie bei diesem Thema nachgeben muss. Denn auch die CSU lehnt den Gesundheitsfonds ab. Der Kompromiss könnte darin liegen, dass zumindest der einheitliche Beitragssatz wieder abgeschafft und der Leistungskatalog überarbeitet wird.

Energie/Umwelt: Hier liegen die Positionen der Parteien nahe beieinander. Union und FDP wollen längere Laufzeiten für die bestehenden Atomreaktoren. Auch der Erkundungsstopp für ein Atomendlager in Gorleben wird wohl aufgehoben werden. Davon abgesehen wollen alle den Ausbau der erneuerbaren Energien vorantreiben.

Bildung: CDU und CSU sind sich einig, dass die Ausgaben für Bildung bis 2015 auf zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts aufgestockt sein sollen. Das ist angesichts der Haushaltslage ein ehrgeiziges Ziel, das sich nur im Konsens zwischen Bund und Ländern umsetzen lässt. Allein deshalb dürfte sich die FDP davon verabschieden, die Aufstockung bereits 2010 zu erreichen.

Innere Sicherheit: Hier drohen die schwersten Konflikte. Die FDP lehnt einen Großteil der Gesetze ab, die die Große Koalition zur Terrorabwehr beschlossen hat - von der Vorratsdatenspeicherung bis zur heimlichen Durchsuchung von Computern (BKA-Gesetz). Gegen das Gesetz zur Online-Durchsuchung hat der frühere FDP-Innenminister Gerhart Baum bereits Verfassungsbeschwerde eingelegt. Auch die automatische Kfz-Erfassung ist der FDP ein Dorn im Auge. Die Liberalen haben in den letzten Wahlkampfwochen eine Renaissance der Bürgerrechte beschworen. Sie bereiten ein Comeback ihrer ehemaligen Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger vor, die vor elf Jahren wegen der Einführung des Großen Lauschangriffs von ihrem Amt zurückgetreten war. Die Union wird sich damit abfinden müssen, dass das BKA-Gesetz wieder aufgeweicht wird.

Außen- und Sicherheitspolitik: Große Übereinstimmung gibt es in allen zentralen Fragen der Außenpolitik, abgesehen von der Haltung gegenüber der Türkei. Die FDP lehnt den Beitritt der Türken zur EU nicht so kategorisch ab wie die CDU/CSU, sieht aber die Voraussetzungen für diesen Beitritt als noch nicht erfüllt an. Vor allem die CSU wird sich als Bollwerk gegen den Beitritt erweisen. Strittig ist das Thema Wehrpflicht. Die FDP will eine Berufsarmee. Doch damit werden sich die Liberalen nicht durchsetzen können, denn der "Bürger in Uniform" ist für die Unionsparteien ein Grundpfeiler der Bundesrepublik.

Was den Afghanistan-Einsatz angeht, so sind sich die Koalitionäre in spe einig, dass er richtig und wichtig ist. Für die Union ist der Bundeswehreinsatz ein "Beitrag, damit Afghanistan selbst für seine und damit unsere Sicherheit sorgen kann", auch für die Liberalen kommt es nicht infrage, "einfach rauszugehen" (Guido Westerwelle). Alle drei Parteien werden der anstehenden Verlängerung der Afghanistan-Mandate demnächst zustimmen und sich im Koalitionsvertrag nicht auf ein Abzugsdatum festlegen.