Debatte um Überhangmandate geht weiter. SPD beklagt sich. Grüne und Linke: Sozialdemokraten sind selber schuld.

Berlin. Die Ampel ist abgeschaltet. Seit Sonntag wissen die Sozialdemokraten, dass sie mit den Liberalen nach der Bundestagswahl nicht rechnen können. FDP-Chef Guido Westerwelle hat es ihnen unmissverständlich klargemacht. Seine Partei, hat er gesagt, stehe als "Mehrheitsbeschaffer für Rot-Grün" nicht zur Verfügung. "Dieses Wort gilt."

Einer, der das partout nicht wahrhaben will, ist Frank-Walter Steinmeier. Verständlicherweise. Da die SPD ihrerseits immer wieder beteuert hat, dass sie mit der Linkspartei auf Bundesebene auf gar keinen Fall koalieren wird, ist der Traum von der Kanzlerschaft nun vermutlich ausgeträumt, denn für Rot-Grün allein, das weiß Steinmeier genau, wird es nicht reichen. Der Kandidat gab sich gestern dennoch optimistisch. Er bleibe gelassen, erklärte Steinmeier dem Nachrichtenmagazin "Focus", zumal die Erfahrung lehre, "dass Fragen von Koalitionen erst am Wahltag ab 18.01 Uhr ernsthaft bewertet werden". Illusionen wird sich Steinmeier aber wohl keine mehr machen.

Auch die Union hat sich am Wochenende eine definitive Absage eingehandelt. Die Grünen haben noch einmal bekräftigt, dass ein Jamaika-Bündnis für sie nicht infrage kommt. Man habe "in allen zentralen politischen Bereichen" nur wenig mit CDU/CSU und FDP gemeinsam, sagte Grünen-Spitzenkandidatin Renate Künast am Rande eines kleinen Parteitags in Berlin. In einer Jamaika-Koalition würden die Grünen einer Übermacht von drei "neoliberalen Parteien" gegenüberstehen, deren Politik nur eins bedeute: "Dreimal Steuersenkung, dreimal nicht ökologisch, dreimal nicht sozial." Künast erklärte, Ziel der Grünen sei es deshalb, eine schwarz-gelbe Regierung zu verhindern.

So scheint nun völlige Klarheit zu herrschen: Entweder es reicht am 27. September für eine bürgerliche Regierung aus CDU/CSU und FDP oder die Große Koalition geht notgedrungen in eine zweite Runde. Was für die SPD immerhin bedeuten würde, dass sie an der Macht bleibt.

Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch die mit zunehmender Schärfe geführte Debatte um die Überhangmandate, die - darin sind sich die Politologen einig - Schwarz-Gelb zum Durchbruch verhelfen könnten. Eine parlamentarische Mehrheit dank solcher Überhangmandate wäre eine "illegitime Mehrheit", empörte sich der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann, gegenüber der "Frankfurter Rundschau": "Merkels stabile Mehrheit würde auf einem verfassungswidrigen Wahlrecht beruhen." Baden-Württembergs SPD-Landtagsfraktionschef Claus Schmiedel setzte noch eins drauf, indem er erklärte, eine allein durch Überhangmandate zustande gekommene schwarz-gelbe Koalition wäre "der größte Wahlbetrug in der Geschichte der Bundesrepublik".

Überhangmandate entstehen, wenn eine Partei in einem Bundesland mehr direkt gewählte Abgeordnete bekommt, als ihr nach dem Zweitstimmen-Ergebnis zustehen. Das Bundesverfassungsgericht hatte diese Regelung 2008 teils für verfassungswidrig erklärt, dem Gesetzgeber jedoch Zeit für eine Änderung bis Mitte 2011 eingeräumt.

Angesichts der aktuellen Umfrageergebnisse könnte die CDU mit etwa 20 Überhangmandaten rechnen, vielleicht sogar mit mehr. Grüne und Linke werfen den Sozialdemokraten nun vor, eine Gesetzesänderung verhindert zu haben. Sie seien nicht bereit gewesen, einen entsprechenden Gesetzesantrag der Grünen zu unterstützen, sagte Spitzenkandidat Jürgen Trittin. Und der parlamentarische Geschäftsführer Volker Beck sekundierte trocken: "Das haben die Sozialdemokraten vergeigt." Die Linke Petra Pau meinte, die SPD habe sich eben "bis zur Selbstverleugnung dem Koalitionswillen der CDU/CSU" gebeugt. Und wer sich vordem so klein gemacht habe wie die SPD, "sollte hernach auch keine großen Sprüche klopfen".