Als Niels Sahling um 6.45 Uhr vor der Gesamtschule in Harburg in den Reisebus steigt, müsste er sich dringend von seiner fast schlaflosen Nacht erholen. Der 19-jährige Abiturient ist Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr Seevetal und hat in den Stunden zuvor zwei Brände gelöscht.

Hamburg/Berlin. "Eigentlich ist es bei uns eher ruhig. Ich weiß auch nicht, was heute Nacht bei uns los war", sagt Sahling während der Fahrt nach Berlin - und wirkt dabei topfit. In der Hauptstadt erwartet ihn schon der nächste große Einsatz. Gemeinsam mit vier weiteren Abiturienten der Gesamtschule Harburg wird er den Chef der Linkspartei, Oskar Lafontaine, interviewen. Und das in einem ungewöhnlichen Ambiente: An der Anlegestelle vor dem Berliner Dom steigt die Schulklasse vom Bus in die MS "Poseidon" um, ein Spreeschiff, das die Erbauer "Aqua Cabrio XXL" genannt haben. Das 42,5 Meter lange Gefährt ist in der Tat ein Cabrio. Es hat ein Glasdach, das sich automatisch in Sekundenschnelle einfahren lässt.

Kurz bevor Oskar Lafontaine das Schiff betritt, wird Hamsah Salaho nervös. "Ich brauche jetzt einen Kaffee für die Nerven", sagt der 17-jährige Halb-Syrer. Gleich wird er auf dem Podium dem Linken-Politiker seine Lieblingsfrage stellen: "Glauben Sie an ein Comeback der SPD?" Aber erst der Kaffee, dann auf die Bühne.

Kaum ist Lafontaine an Bord, legt die "Poseidon" ab. Und schon kommt Unruhe auf. Auf einem vorbeifahrenden Schiff winkt ein Mann heftig Oskar Lafontaine zu. "Die Linke!", ruft er mehrmals, und Lafontaine lächelt.

Mit dem Schiff geht es inzwischen in Richtung Regierungsviertel, vorbei an den Abgeordnetenbüros, am Bundestag, dem Hauptbahnhof. Kurz vor Schloss Bellevue, dem Sitz von Bundespräsident Horst Köhler, wird es Lafontaine zu kalt. Er sei erkältet, sagt er und bittet darum, das Glasdach zu schließen. Mit geschlossenem Dach kehrt die "Poseidon" wieder um in Richtung Anlegestelle am Berliner Dom.

Nachdem Lafontaine das Schiff verlassen hat, ist die Stimmung gespalten. Einige Schüler ärgern sich, dass Lafontaine während des Interviews immer wieder auf sein Handy schaute. "Ich fand es unmöglich, dass er ständig sein Handy hervorgeholt hat", sagt Anna-Lena Schmidt.

Der mitgereiste Lehrer Götz Grabowski kann manche Reaktionen aus der Gruppe nachvollziehen, auch weil Lafontaine zuweilen schroff auf direkte Fragen reagierte. "Ich hätte Lafontaine umgänglicher mit den Schülern erwartet. Ich glaube nicht, dass er ihre Herzen gewonnen hat", sagt Grabowski. Der Schüler Massiullah Sadaat ist dagegen von Lafontaine überzeugt worden: "Ich habe einen positiven Eindruck von ihm. Er ist offener, als ich dachte, auch politisch."

Auch auf der Heimfahrt diskutieren die Gymnasiasten über den Politiker. Hat er sich genug auf die Schüler eingelassen? Haben seine Argumente überzeugt? In einem Punkt sind sich die Schüler einig: Oskar Lafontaine ist ein Politiker, der polarisieren kann. Niels Sahling ist noch immer nicht müde. Der Auftritt von Lafontaine geht ihm noch zu sehr durch den Kopf. Er wundert sich: "Herr Lafontaine hätte ruhig freundlicher sein können."