In einer Serie zieht das Abendblatt eine Bilanz der Politik der Großen Koalition. Merkel hat für Kontinuität und Verlässlichkeit gesorgt.

Hamburg. Deutsche Außenpolitik - das war, stark zugespitzt formuliert, vier Jahrzehnte lang fast ein Widerspruch in sich selbst. Denn Deutschland, als Aggressor zweier Weltkriege gebranntmarkt, stand lange unter Kuratel der früheren Alliierten. Der Westen, der unter Willy Brandt immerhin die von den USA argwöhnisch beäugte Ostpolitik vorantreiben konnte, allerdings deutlich weniger als der Osten, dessen außenpolitische Bewegungsfreiheit unter sowjetischer Vormundschaft nahezu nicht existent war.

Seit 1990 hat das wiedervereinigte Deutschland erheblich größere Spielräume; der Zwei-plus-vier-Vertrag mit den Alliierten brachte neben der Souveränität aber auch größere internationale Verpflichtungen.

Die Große Koalition unter Angela Merkel hat keine dramatischen neuen Akzente gesetzt, sondern im Großen und Ganzen für das gesorgt, was die Nachbarn von deutscher Außenpolitik am ehesten erwarten: Kontinui-tät und Verlässlichkeit. Die Eckpfeiler dieser Politik waren der Weiterbau des "Europäischen Hauses", sprich der EU, die dringliche Ausbesserung der unter Gerhard Schröder stark ramponierten transatlantischen Beziehungen, die Pflege der jeweils komplizierten Beziehungen zu Russland und zu Israel sowie die diversen Auslandseinsätze der Bundeswehr.

Letztere haben sich zu einem Sorgenkind deutscher Außenpolitik entwickelt. Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier wissen sehr wohl, dass mehr als zwei Drittel der Bundesbürger das riskante Afghanistan-Abenteuer in Umfragen regelmäßig ablehnt. Hier steckt die Außenpolitik der Bundesregierung in einem Dilemma fest: Sie kann die im (Wahl-)Volk unbeliebte Afghanistan-Mission - eine reine Bündnisleistung - nicht ohne verheerende Folgen für das Ansehen Deutschlands abbrechen.

Der Hamburger Politologe und Zeithistoriker Christian Hacke bewertet die Afghanistan-Politik der Großen Koalition sogar als "ein einziges, fundamentales Versagen". "Wenn wir uns die Brite ansehen, wie sie in der Kampfgemeinschaft mit den USA versuchen, unter größten Opfern und Verlusten das Blatt in Afghanistan zu wenden - dann kann ich nur sagen, Hut ab", sagte der emeritierte Professor und Außenpolitik-Experte zum Abendblatt.

Man müsse in Afghanistan entschieden am Boden kämpfen, es reiche nicht, ein paar Awacs-Aufklärungsflugzeuge zu entsenden. Der Kurs der Bundesregierung habe "uns leider nicht auf Augenhöhe mit den Verbündeten, sondern große Einbußen an Ansehen gebracht". Daran ändere auch alle Höflichkeit von US-Präsident Barack Obama gegenüber Angela Merkel nichts. Hacke meint, Frankreich habe mit seinem Präsidenten Nicholas Sarkozy Deutschland diplomatisch inzwischen den Rang abgelaufen.

Insgesamt sei die außenpolitische Bilanz der Großen Koalition sehr gemischt, sagt Hacke, doch gebe es dabei "auch Eindruckvolles". So habe Angela Merkel "zweifellos auch mit ihrer Persönlichkeit Europas Rolle als Zivilmacht gefestigt".

Ähnliches Lob für die Kanzlerin in Sachen Außenpolitik hält auch Michael Wolffsohn parat. Der Historiker und Publizist lehrt als Professor an der Hochschule der Bundeswehr in München. "Eigentlicher, großartiger Außenminister der Großen Koaliti-on war Bundeskanzlerin Angela Merkel", sagte Wolffsohn zum Abendblatt. "Nenn-Außenminister Steinmeier hat kaum eine wichtige Weiche gestellt und wurde daher von der Außenwelt auch meistens an den Rand gestellt. Keine seiner Nahostreisen veränderte irgendetwas, und trotz seiner Nähe zum Putin-Freund Gerhard Schröder brachte auch sein Krisenmanagement im Georgen-Russland-Krieg 2008 nichts. Sowohl unter Bush als auch seit Obama dominiert(e) die Kanzlerin im bilateralen Verhältnis."

Merkel, so sagt Wolffsohn, habe erfolgreich die EU- und G8-Gipfel dirigiert - "zum Wohle Deutschlands und Europas. Die Welt verlor sie dabei nicht aus den Augen. Das unter Gerhard Schröder ramponierte Verhältnis zu Israel und der jüdischen Welt verbesserte und vertiefte sie. Die Freundschaft gilt - ohne dass Arabische Staaten oder der Iran vor den Kopf gestoßen worden wären."

Die Afrika-Politik sei jedoch die Domäne von Bundespräsident Köhler geblieben. "Folglich kam sie nicht voran. Ebenso blass blieb die deutsche Südamerika-Politik, während gegenüber Asi-en wieder die Kanzlerin den guten Ton bestimmte. In der China-Politik vollbrachte sie das Kunststück, trotz des Treffens mit dem Dalai Lama das Verhältnis nicht wirklich zu gefährden, sondern zu stabilisieren."

Ähnlich wie Hacke sieht auch Wolffsohn gravierende Mängel in der Entschiedenheit der Afghanistan-Politik der Großen Koalition: "Der deutschen Afghanistan- sprich: der notwendigen (!) Kriegspolitik fehlt nach wie vor eine Strategie."