Heute vor 70 Jahren begann der Zweite Weltkrieg. Auch für Willi und Anna Hausen, die ihre junge Liebe fortan per Feldpost bewahren mussten.

Hamburg. Was ist, wenn plötzlich Krieg kommt? Wenn man gerade angefangen hat, sein gemeinsames Leben zu planen, und dann drängt sich das Grauen dazwischen? Was ist das für ein Leben, wenn die Liebe quasi von Anfang an und dann über Jahre nur auf dem Papier existiert? Kein Streicheln, kein Berühren, kein Spüren - nur Papier. "Wo bist Du, und wie wird es Dir sein? Immerfort sucht Dich mein Herz. Wie furchtbar ist die Zeit, in der wir leben! Ich habe keine Hoffnung mehr auf ein Ende des Krieges", schreibt Anna Hausen am 5. Oktober 1943.

Die Kölnerin ist 28 Jahre alt, ihr Mann Willi 29 und als Soldat an der Ostfront. Wie Millionen andere deutsche Paare haben der Überfall auf Polen und der Beginn des Zweiten Weltkrieges Anna und Willi Hausen von einem Tag auf den anderen auseinandergerissen. Ihre Liebe aber lässt sich nicht besiegen. Im Gegenteil. Sie scheint von Tag zu Tag größer zu werden. Sie erhält sich in der Sprache. Denn - und das unterscheidet die jungen Eheleute von vielen anderen - die beiden schicken einander beinahe täglich Briefe. Manchmal sogar zwei an einem Tag. Dann schreibt Anna mittags, dass sie gleich mit Johannes, der im Oktober 1942 geboren wurde, zum Arzt muss. Und setzt sich abends hin, um ihrem Mann zu berichten, wie es dort war.

Mehr als 2000 Briefe kamen zwischen 1939 und 1944 zusammen. Ein einzigartiges geschichtliches Zeugnis über existenzielle Ängste, bange Fragen an die Zukunft, Sorge vor dem Zerbrechen der Liebe, tiefem Gottvertrauen und grauer Hoffnungslosigkeit. Dass die berührende Korrespondenz über die eigene Gefühlslage jener Zeit, über die Millionen Deutsche bis heute immer noch kaum ein Wort verloren haben, nahezu vollständig erhalten blieb, ist Willi Hausen zu verdanken. Der junge Feldwebel hat jeden Brief seiner Frau mit seinem eigenen Antwortschreiben zurückgeschickt. Und als Adelheid Hausen, die Tochter von Anna und Willi, nach dem Tod ihrer Mutter 1987 den gesamten Briefwechsel fand, wird sie geahnt haben, welchen Schatz sie da in den Händen hielt. Sie überließ den sehr persönlichen Nachlass ihrer Eltern dem Historischen Archiv des Erzbistums Köln.

"Es sind nur noch wenige Stunden bis zum Jahresende. Das vergangene Jahr hat uns rückblickend nur Gutes gebracht", schreibt Willi am 31. Dezember 1942, dem mittlerweile vierten Kriegswinter. Denn: "Wir sind doch in diesem Jahr wirklich Familie geworden. Das ist wohl das größte Geschenk, das uns zuteil wurde." Am 11. April 1943 dankt Anna ihm "für jedes Wort, das Du mir schenkst. Kommst Du doch in jedem Deiner Briefe selbst zu mir. Oft sind sie die einzige Freude, die mir am Tage zuteil wird".

Genauso unerschütterlich wie die Liebe zueinander ist der Glaube an einen Gott, der alles lenkt. Anna und Willi sind christlich erzogen und beide aktiv in der katholischen Jugend - Anna in der Pfarrjugend und im Jugendbund des katholischen Frauenbundes, Willi beim ND, dem 1919 von Jesuiten gegründeten Schüler- und Studentenverband "Neu Deutschland". Sie lernten sich 1938 beim Christkönigsfest, dem Bekenntnistag der damals in ihren Aktivitäten bereits eingeschränkten katholischen Jugend, kennen. "Wir wollen Gott danken, dass er Dich uns bis jetzt erhalten hat. Ich habe kein Recht, Dich zu verlangen. Aber, dass er Dich doch um unseres Kindes willen erhalten möchte, darum darfst auch Du bitten", schreibt Anna am 1. Januar 1944. "Unser Dank soll unsere Bitte für das kommende Jahr sein", antwortet Willi. "Vor allem steht aber unser ständiges Bemühen, unseren Willen dem Willen Gottes gleichförmig zu machen, mag kommen, was will. Die kommenden Monate können für einen jeden von uns schwerer werden als die bisherigen. Wir wollen es tragen, und Gott wird uns auch die Gnade und Kraft geben, um stark zu bleiben. Das erflehe ich uns beiden im Gebet." Und in einem späteren Brief: "Ich bete täglich für Dich und werde es jetzt noch inniger tun. Du und auch ich, wir sind nicht verlassen und einsam, auch wenn es uns oft so überkommen will. Woher nähmen wir sonst die Kraft zu unserem Sein?"

Zu dieser Zeit war die Wehrmacht an der Ostfront längst heillos in die Defensive geraten. Sehr detailliert beschreibt Willi seiner Frau, wie die deutschen Soldaten einem Kessel, in dem sie 20 Tage lang von den Sowjets eingeschlossen worden waren, entkommen konnten. "Alles fiel der Vernichtung anheim. Die Flugzeuge konnten nicht mehr landen, um Verwundete abzuholen. Es wurde immer trostloser. Es blieb uns nichts anderes mehr übrig, als uns durchzuboxen. In den Abendstunden ging es los, mit geringer Feindberührung bis zum Morgen. Dann war es allerdings aus, und die Hasenjagd begann. Flieger, Panzer, Artillerie, Granatwerfer und im Waldgelände versteckte russische Soldaten! Es war ein Durchschlagen auf Leben und Tod." Viele seiner Kameraden haben das grausame Gemetzel nicht überlebt. "Die armen Verwundeten mussten das traurige Schicksal eines Verwundeten erwarten, der den Russen in die Hände fällt", schreibt Willi an Anna und fügt fast verzweifelt hinzu: "Kannst Du Dir vorstellen, was es bedeutet, einem verwundeten Kameraden nicht helfen zu können? Keine Möglichkeit zur Hilfe, und überall der Ruf nach der kameradschaftlich selbstverständlichen Hilfe!"

Er selbst entkam der Hölle im Februar 1944 durch einen Bach - zehn Meter tief, zehn Meter breit - und hatte dann "nur noch das, womit ich bekleidet war. Alles andere ist vernichtet".

Auge in Auge mit dem Tod, für diese Grenzerfahrung findet Willi in seiner knappen Sprache eindringliche Worte. "Unvorstellbar ist das, was der Soldat vorne im Graben alles zu ertragen hat. Tag und Nacht kämpfen, Posten stehen, immer nur kaltes Essen, ein Schützenloch als Unterkunft, worin er alles über sich ergehen lassen muss." Seine Schilderung der Trostlosigkeit gipfelt in dem Satz: "Ich glaube, es ist meistens eine Erlösung für diese Soldaten, wenn sie ihr Leben lassen müssen."

Worauf Anna ihm antwortet: "Du sagst, es sei eine Erlösung zu fallen. Aber wir Frauen, die wir dann mit den Kindern allein bleiben, sind so verblendet, dass wir das nicht immer sehen. Unser Hoffen und Verlangen geht immer dahin, den Geliebten zurück zu erhalten und in seiner Liebe Seligkeit zu empfangen und zu schenken. Kannst Du das noch verstehen? Mein Lieb, Du bist so sehr gereift, dass ich Dich nicht mehr erreichen kann. Nur wenn Gott Dich mir zurückgibt, werde ich Dir mit Deiner Hilfe nahe kommen."

Dabei ist es auch für Anna in der Heimat nicht ungefährlich. Den schweren Bombenangriffen auf Köln allerdings entkommt sie, weil sie von Juli bis Oktober 1943 mit ihrem Kind, der Mutter und der Schwiegermutter im Hunsrück bei Verwandten unterkommt. Als sie am 21. Oktober in ihre Heimatstadt zurückkehrt, notiert sie: "Ich habe von Köln noch nichts gesehen, außer was man vom Zug aus sieht. Und das ist schon erschütternd. So weit man fährt, von Kletterberg an bis Hauptbahnhof, rechts und links nur Trümmer. Alles ist zerstört. Alle Kirchen sind Ruinen. Es ist ein niederschmetterndes Bild."

Für Ulrich Helbach, den Direktor des Historischen Archivs des Erzbistums Köln, ist die Vollständigkeit des Briefwechsels ein "absoluter Glücksfall". Sichtbar werde "die Tiefe einer religiösen Bindung", die Korrespondenz sei "religions- und kirchengeschichtlich eine Quelle, die man so sonst kaum noch einmal finden würde". Hier gehe es um "den Menschen und seine Religiösität". Um existenzielle Fragen. Was haben die Menschen im Krieg gedacht? Was hat sie in ihrem Innersten wirklich bewegt?

Helbach hat ausgerechnet, dass jeder der beiden Eheleute im Jahr rund 200 Briefe geschrieben hat und dass Anna und Willi Hausen in ihren fünf gemeinsamen Jahren nur drei Monate zusammen gewesen sind. "95 Prozent ihrer Zeit haben sie sich nicht gesehen", sagt Helbach. Aber sie waren gebildet - Anna hatte Abitur, Willi hatte nach dem Abbruch des Gymnasiums eine kaufmännische Lehre begonnen - und wussten sich auszudrücken. "Ihr Briefwechsel ging weit über die üblichen Feldpostbriefe, in denen es oft nur um die Qualität des Essens ging, hinaus", sagt der Historiker.

Dass die Briefe jetzt in einer Lesung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, ist für Helbach ein wichtiger Schritt, den seelischen Zustand einer Generation ans Licht zu bringen. Einer Generation "mit der Unfähigkeit zu sprechen, was mit der Unfähigkeit zu trauern zusammenhängt". Diese Menschen hätten nach dem Krieg "immer nur nach vorne geschaut". Dann gab es zwar die kritischen Fragen der 68er-Generation, "aber das waren Vorwürfe und kein Einfühlen". Den Fragenden sei es nicht in erster Linie darum gegangen, was die Eltern in den Tagen und Nächten gefühlt hätten.

Natürlich gebe es heute Zeitzeugen, die über damals berichten würden, aber da liege mittlerweile ein großer zeitlicher Abstand dazwischen. Bei den Hausen-Briefen jedoch handele es sich um den "unmittelbaren Dialog im Krieg", da sei "nichts manipuliert durch das, was danach kam". Helbach: "Die Briefe geben dieser Generation eine Unmittelbarkeit, die sehr selten ist."

Am 8. August 1944 informiert Anna überglücklich ihren Mann, dass sie bei seinem letzten Heimaturlaub wieder schwanger geworden ist. "Ich spüre schon ein ganz leises Klopfen in meinem Schoß. Nun ist Deine übergroße Liebe wieder Leben geworden. Es ergreift mich tief. Du mein Willi!"

Daraufhin schreibt er an seine Mutter: "Liebe Mutter, ich weiß nicht, ob Anna Dir schon geschrieben hat. Wir werden wohl bald ein zweites Kindlein unser eigen nennen dürfen. Ob's ein Schwesterchen wird? Wir wünschen es beide. Ein Kind ist und bleibt ein Geschenk Gottes und sollten wir da etwas anderes tun, als uns über dieses Geschenk freuen, ohne Rücksicht darauf, ob ich nach Hause zurückkomme oder nicht. Wir wollen es alle nicht wagen, an diese Möglichkeit zu denken." Dieser Brief trägt das Datum 16. August.

Zwei Tage später wird Willi Hausen in der Nähe der polnischen Stadt Sandomierz schwer verletzt, am 21. August 1944 stirbt er im Alter von 30 Jahren auf dem Transport ins Lazarett.

Am 4. September 1944 schreibt Anna an ihren "lieben, guten Willi": "Schon 24 Tage warte ich auf ein Lebenszeichen. Hörst Du, wie verzweifelt ich rufe nach Dir? Aber wo bleibt die Antwort? Lebst Du noch, mein Alles? Du mein Leben, was wäre ich ohne Dich? Und unsere armen Kinder? Dass Gott mir helfen möge!" Am 7. September erhält Anna zum letzten Mal Post von der Ostfront. Es ist einer ihrer Briefe an Willi - ungeöffnet. Auf dem Umschlag steht: "Empfänger gefallen".