Hausdurchsuchung, DNA-Spuren und beschlagnahmte Computer liefern den Ermittlern neue Hinweise.

Hamburg. Vor wenigen Tagen hatte sie noch trotzig gesagt: "Die Sache ist für mich erledigt." Ist sie nicht. Seit Freitag sitzt Verena Becker (57) in Untersuchungshaft. Mehr als 32 Jahre nachdem die damalige RAF-Terroristin schon einmal wegen einer Schießerei in Singen (Baden-Württemberg) verhaftet worden war. Doch der Verdacht, dass sie im April 1977 auch an der bis heute ungeklärten Ermordung des Generalbundesanwaltes Siegfried Buback beteiligt war, ist nie wirklich ausgeräumt worden. Nun reicht er nach neuen Indizien aus, um die Frau, die inzwischen als Heilpraktikerin arbeitet, erneut zu verhaften.

Auch wenn es weiterhin keine Anhaltspunkte gibt, dass sie geschossen hat, so spricht die Bundesanwaltschaft doch von "wesentlichen Beiträgen", die Verena Becker zu der Ermordung von Buback geleistet hat. Der führende RAF-Forscher Wolfgang Kraushaar vom Hamburger Institut für Sozialforschung wundert sich ohnehin, dass gegen Becker nicht schon viel früher vorgegangen wurde. Am Freitag sagte er: "Das ist das eigentlich Skandalöse, dass es hierzu bisher gegen Becker kein Verfahren gegeben hat." Schon 1977 seien die Indizien "so stark" gewesen, dass Verena Becker geschossen habe, "dass man sich wundern muss, warum nicht bereits damals gegen sie Anklage erhoben worden ist".

Danach soll Beckers Komplize Günter Sonnenberg das Motorrad, eine Suzuki, gefahren haben, von dem aus geschossen wurde, als es an der Linkenheimer Landstraße in Karlsruhe neben dem Dienstwagen von Buback hielt. Der Beifahrer - oder eben die Beifahrerin - mit schwarzem Helm feuerte 15 Schüsse ab. Buback und sein Fahrer Wolfgang Göbel starben sofort. Wenige Wochen später erlag auch der Personenschützer Georg Wuster seinen Verletzungen. Die Terroroffensive, die in den "Deutschen Herbst 1977" mündete, hatte begonnen.

Verurteilt werden später Knut Folkerts, Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt für den Anschlag. Doch wer wirklich geschossen hat, ist offiziell nicht geklärt. Auch die inzwischen entlassenen ehemaligen RAF-Terroristen sagen darüber nichts. Noch immer hält ihr Schweigegelübde. Michael Buback, der heute 63 Jahre alte Sohn des damals ermordeten Siegfried Buback, hat das irgendwann nicht mehr ausgehalten. Der Chemieprofessor stellte seine eigenen Nachforschungen an und wirbelte damit mächtig Staub auf. Um Ruhe und den Mörder seines Vater zu finden, traf er sich sogar mit einem Ex-Terroristen: Jürgen Boock. Seitdem werden einige Namen als Mordverdächtige genannt und immer wieder auch Verena Becker.

Nach Bubacks Recherchen gibt es vier Zeugen, die unabhängig voneinander eine "zierliche Person", höchstwahrscheinlich eine Frau (Verena Becker?), auf der Suzuki gesehen haben. Keine dieser Aussagen hätte er in den Prozessakten gefunden, sagt Michael Buback. Außerdem - und das bestätigt auch Kraushaar - habse man bei Becker und Sonnenberg bei ihrer Verhaftung in Singen die Tatwaffe und einen Schraubenzieher der Suzuki gefunden. Doch Hinweise auf Becker seien "aus den Akten eliminiert" worden, sagte Buback vor Kurzem als er in Hamburg sein Buch "Der zweite Tod meines Vater" vorstellte.

"Dadurch, dass es eine Deckung für Verena Becker gab, gerieten die Ermittlungen in eine völlige Schieflage", sagte Buback. Er äußerte das, was viele vermuten: Becker sei Mitarbeiterin des Verfassungsschutzes gewesen. Wurde Verena Becker etwa deswegen vor Strafverfolgung geschützt? Ob das tatsächlich so ist, könnten Akten belegen, die aber von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) unter Verschluss gehalten werden. "Verena Becker war bereits 1977 derart tatverdächtig, dass es eine Erklärung dafür geben muss, warum sie damals nicht weiter belangt worden ist", sagt auch RAF-Forscher Kraushaar. Vier Jahre nach ihrer Verurteilung zu lebenslanger Haft wegen der Tat in Singen soll sich Verena Becker beim Verfassungsschutz gemeldet haben. Sehr ungewöhnlich für RAF-Häftlinge, die jeden Kontakt mit Vertretern des Staates ablehnten. Beckers Version vom Buback-Mord war offenbar: Stefan Wisniewski hat geschossen. Doch gegen ihn konnte sich kein Verdacht erhärten. Wohl aber nun gegen die Informantin.

Am 20. August meldete die Bundesanwaltschaft, dass mit neuen Untersuchungsmethoden DNA-Spuren von Verena Becker am damaligen Bekennerschreiben zum Mord an Siegfried Buback ermittelt wurden. Am selben Tag wurde ihre Wohnung in Berlin durchsucht. Was Verena Becker sicher nicht ahnte, war, dass die Ermittler sie schon eine Weile "verdeckt" beobachtet hatten. Sie hörten auch ihr Telefon ab. Und da gab es einen interessanten Hinweis: Sie wollte nun mal ihre Gedanken über das, was damals alles geschehen sei, aufschreiben, sagte sie - wohl einer der Gründe, die Wohnung zu durchsuchen und wenige Tage später mit einem Haftbefehl vor ihrer Tür zu stehen. Am 30. November 1989 war Verena Becker aus der Haft entlassen worden - begnadigt vom damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker. Es war der Tag, an dem der Wagen von Alfred Herrhausen, dem Chef der Deutschen Bank, explodierte. Die RAF schickte ein Bekennerschreiben. Bis heute weiß man nicht, wer dahintersteckt.