Arbeitsminister Olaf Scholz hat den Sozialbericht vorgestellt. Für das Hamburger Abendblatt kommentiert Sozialexperte Axel Börsch-Supan die wichtigsten Aspekte.

Hamburg. Die Wirtschaftskrise treibt die Sozialausgaben in diesem Jahr deutlich in die Höhe. Das geht aus dem Sozialbericht 2009 hervor, den Arbeits- und Sozialminister Olaf Scholz (SPD) gestern in Berlin vorgestellt hat. Dem Bericht zufolge werden die staatlichen Ausgaben für Rente, Gesundheit, Pflege, Arbeitslosengeld und Familienpolitik von 720 Milliarden im vergangenen Jahr um 4,5 Prozent auf voraussichtlich 754 Milliarden Euro ansteigen. Das entspricht einem Anteil der Sozialausgaben am Bruttosozialprodukt von 31,9 Prozent. Anders ausgedrückt: Fast jeder dritte erwirtschaftete Euro fließt 2009 in soziale Leistungen. Die sogenannte Sozialleistungsquote nähert sich damit ihrem bisherigen Rekordwert von 32,3 Prozent aus dem Jahr 2003.

Arbeitsminister Olaf Scholz (SPD) macht die Krise für den Anstieg der Sozialleistungen verantwortlich. Die Rezession werde das Bruttoinlandsprodukt 2009 um gut fünf Prozent schrumpfen lassen. Trotz Krise sei die Arbeitslosigkeit jedoch nicht so stark gestiegen wie befürchtet. Dies liege unter anderem an der hohen Zahl von aktuell 1,4 Millionen Kurzarbeitern. Die zweimalige Verlängerung der Kurzarbeit habe Hunderttausende Jobs gerettet. Kritisch äußert sich Scholz in Hinblick auf die Debatte um die Beitragshöhe zur Arbeitslosenversicherung.

Nach geltender Gesetzeslage soll der Beitrag ab dem Jahr 2011 von 2,8 auf 3,0 Prozent steigen. Bliebe es dabei, würde die Bundesagentur für Arbeit nach eigenen Berechnungen bis zum Jahr 2013 einen Schuldenberg von etwa 58 Milliarden Euro auftürmen.

Doch nicht nur die Kurzarbeit und steigende Arbeitslosigkeit lassen die Ausgaben steigen, sondern auch Leistungsverbesserungen in der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung. Die Finanzierung dieser Leistung verschiebt sich immer mehr zulasten der Arbeitnehmer. So ziehen sich laut Sozialbericht die Arbeitgeber zusehends aus der Finanzierung des Sozialstaates zurück. Die von ihnen aufgebrachten Sozialbeiträge betrugen im vorherigen Jahr 33,3 Prozent. Das sind 1,6 Prozentpunkte weniger als 2002. Dagegen ist der Finanzierungsanteil der Arbeitnehmer stetig gestiegen. Ihre Sozialbeiträge machten 26,9 Prozent des Sozialbudgets aus.

Scholz nutzt die Vorstellung des Sozialberichts auch, um die vom Parlament bereits verabschiedete Rentengarantie erneut zu verteidigen. Die harten Reformen im Sozialsystem der vergangenen Jahre hätten sich gelohnt. Deshalb sei es jetzt auch möglich, eine Rentengarantie auszusprechen. Sie sieht vor, dass die Rente selbst bei sinkenden Löhnen nicht gekürzt wird. Die Rente zu senken sei laut Scholz nicht verantwortbar angesichts der Wirtschaftsleistung in Deutschland. Im Übrigen gebe es wieder ein Rentenversicherungspolster von 16 Milliarden Euro. Dies entspreche einer Monatsausgabe der Rente. Mit diesem Polster könne entspannt in die Zukunft geschaut werden. Auch die Beiträge müssten nicht steigen. Sie würden zehn Jahre lang stabil bei 19,9 Prozent bleiben, versprach er.

"Die Rentengarantie verletzt das Prinzip der Gleichbehandlung von Beitragszahlern und Rentnern", sagt hingegen Professor Axel Börsch-Supan, Volkswirt und Sozialversicherungsexperte am Mannheimer Forschungsinstitut Ökonomie und Demografischer Wandel. Überhaupt wirft er der Regierung einige Versäumnisse in der Sozialpolitik vor. "Die Regierung hat bei der Sozialpolitik zwei große Fehler gemacht: den Gesundheitsfonds, der nichts anderes als ein Selbstbedienungsladen für die Krankenkasse ist, und die Rentengarantie", sagt der Experte.

Auch was die Finanzierung von Sozialleistungen betrifft, geht Börsch-Supan mit der Regierung hart ins Gericht. Dass sie immer mehr von den Arbeitnehmern getragen werden, sei keinesfalls ein Systemfehler, ist er sich sicher. "Das ist von der Politik gewollt. Ansonst würde sie Sozialleistungen nicht immer mehr durch Steuern, vor allem durch die Mehrwert- und Einkommenssteuer, finanzieren", sagt Börsch-Supan. Er plädiert deshalb dafür, "Sozialleistungen weiterhin durch Beiträge zu finanzieren. "Dann wissen die Beitragszahler, wofür sie einzahlen."

Auch die von Olaf Scholz viel gepriesene staatlich geförderte Kurzarbeit sieht der Sozialexperte kritisch. "Man möchte eine Massenarbeitslosigkeit vermeiden. Das ist gut so", sagt dazu Professor Börsch-Supan. Die Kurzarbeit dürfe aber nicht dazu führen, dass durch sie marode Firmen weiterhin unterstützt und so künstlich am Leben gehalten werden oder dass sie zu einer anderen Art der Frühverrentung führe. "Wir müssen schleunigst von der Kurzarbeit wegkommen", verlangt der Sozialexperte von der Bundesregierung.