Es war gut, nach den Dreharbeiten abends nach Hause zu gehen und die Tür zu schließen, hat Moritz Bleibtreu vor der Pressevorführung in Hamburg...

Es war gut, nach den Dreharbeiten abends nach Hause zu gehen und die Tür zu schließen, hat Moritz Bleibtreu vor der Pressevorführung in Hamburg gesagt: "Ich bin froh, dass ich nicht die Träume des Herrn Baader träumen muss."

Bleibtreu, geboren im August 1971, verbindet mit den Siebzigern nur vage Erinnerungen an Flokati-Teppiche und merkwürdige Tapetenmuster. Fast alles über die RAF musste er sich anlesen oder in Gesprächen ermitteln. Die Legendenbildung um die RAF erstaunt und irritiert ihn ebenso wie die Kritik am fertigen Film. "Ich weiß nicht, warum sich Frau Röhl über den Film so aufregt", sagt er. "Es muss doch möglich sein, unsere jüngere Zeitgeschichte im Film darzustellen und zu interpretieren."

So viel Lob er auch für die Rolle bekommt: Die Figur Baader bleibt schwierig. "Auf der einen Seite gibt es zwar viel Material über den Mann, aber auf der anderen Seite kein Ton- oder Bildmaterial von ihm, abgesehen von ein paar Fotos", sagt Bleibtreu. "Und das war wahrscheinlich der Grund, warum sich dieser Mythos um das Duo Baader/Ensslin überhaupt bilden konnte." Mindestens fünfmal hätten ihm Journalisten in Interviews gesagt: Doch, es gibt Material, ich habe den Baader doch im Fernsehen sprechen sehen ... "Nein, haben sie nicht. Wenn es solches Material gegeben hätte, hätte ich es als Schauspieler leichter gehabt, seiner Diktion, seiner Körpersprache entgegenzukommen. Aber so war ich auf meine Interpretation angewiesen."

Wie interpretiert man eine Mischung aus Playboy, Kotzbrocken und Killer? Schon als die RAF-Gruppe in Hamburg ihre ersten Banküberfälle plant, ist Baader bekannt für seine cholerischen Ausfälle. Er liebt rasante Fahrten in gestohlenen Autos. Ein ehemaliger "Helfer" erzählt, Baader habe mit seiner Waffe gespielt "wie ein Jongleur, (er) nahm sie auseinander und setzte sie - tong, tong, tong - blitzschnell wieder zusammen" wie bei einer Fingerübung in einem Western.

"Nach allem, was ich bei Gesprächen mit Zeitzeugen erfahren habe, war er anfangs vermutlich kein besonders politischer Mensch", sagt Bleibtreu. "Er war eher bekannt dafür, dass um ihn herum immer Highlife war. Es gibt von ihm keine Manifeste wie etwa von dem jungen Che Guevara." Aber etwas war damals anders: "Politik war ,modern' im Gegensatz zu heute. Politik machen und politisches Bewusstsein zu haben war hip und für viele junge Leute Teil des täglichen Lebens." Diese Politisierung verhalf Baader zu einer Bühne, die er allein als "Lebenskünstler" nie gehabt hätte. Und er erhält dabei Verstärkung. Was wäre Baader ohne Gudrun Ensslin gewesen?

"Die beiden als Pärchen, das machte die Faszination aus", glaubt Bleibtreu. Hier Baader, den sogar der französische Philosoph Jean Paul Sartre nach seinem Besuch in Stammheim 1974 als "Arschloch" bezeichnete (wie Daniel Cohn-Bendit berichtet). Und dort Gudrun Ensslin: "Sie war eine sehr intelligente, konsequente Frau. Und dass sie gerade mit Baader zusammen war, hat ihn vielleicht gewissermaßen ,geadelt'", sagt Bleibtreu. Ensslin war in der Erinnerung früherer RAF-Mitglieder die Einzige, die Baader Paroli bot. Bleibtreu glaubt nicht, dass sie nur eine Pro-forma-Beziehung verband: "Die späten Kassiber sagen etwas anderes. Die müssen sich schon geliebt haben, auf eine verrückte Art und Weise."

Der Vollzugsbeamte Horst Bubeck berichtet, auf die Nachricht von Ulrike Meinhofs Selbstmord früh am 9. Mai 1976 habe Baader ihn nur wortlos angeschaut und sich dann wieder schlafen gelegt. Eine sehr kalte Reaktion. "Ich denke, am Anfang brauchte die Gruppe Ulrike Meinhof", sagt Bleibtreu, "sie hat mit ihrer politischen Intelligenz Baaders und Ensslins Tatenwahn einen ideologischen Unterbau gegeben." Nach ihrem Tod sei Meinhof möglicherweise "nur noch als Märtyrerin nützlich für Baader gewesen".

Stammheim - ein Kammerspiel des Niedergangs. Die Berichte der Vollzugsbeamten über Baaders Wutanfälle und fliegende Teller sind dokumentiert. Auch Richtern, Verteidigern und RAF-Mitgliedern fiel Baaders ungebremster Mutwillen zum Affront auf. "Ich glaube, er war kein Mensch, der sich anmerken ließ, wenn er schwach war", sagt Bleibtreu. "Auf der einen Seite wollte er dem Staat abringen, was abzuringen war, nicht weil er noch weitere 20 Bücher in seiner Zelle brauchte, sondern vermutlich einfach aus Prinzip. Er wollte vielleicht auch den Wärtern etwas ,vorleben', sein Spiel mit denen spielen."

Eichingers "Baader Meinhof Komplex" ist für Bleibtreu vor allem "ein Film über Verselbstständigung". Verselbstständigt hat sich die Psychodynamik der Häftlinge in Stammheim ebenso wie ihre Außenwirkung hin zum Mythos. "Der Rechtsstaat wollte das vermeiden", sagt Bleibtreu. "Aber man hat gesagt: ,Wir tun die alle zusammen in den Knast, dann kann man uns nicht vorwerfen, dass wir sie isolieren.' Dadurch hat man der Verselbstständigung noch Vorschub geleistet, ohne es zu wollen."