Bettina Röhl kritisiert: “Der RAF-Film bestätigt Legenden.“ Ihre Mutter Ulrike Meinhof war “Terroristin, nicht Revolutionsheldin“.

Hamburg. Hamburger Abendblatt:

Wie hat Ihnen der Film gefallen?

Bettina Röhl:

Der Film ist schlecht. Den hat eine Dilettanten-Combo gemacht. Er geht in die vollkommen falsche Richtung. Er beflügelt den RAF-Mythos, denn er schildert wieder, wie seit 40 Jahren, die Geschichte der Täter, nicht die der Opfer. Und das noch völlig emotionslos. Dinge werden aus dem Zusammenhang gerissen, die Realität der damaligen Bundesrepublik kommt überhaupt nicht vor. Der Film stößt ja bei den Zuschauern nicht auf eine unbespielte Festplatte. Die Legenden um die RAF haben ja alle im Kopf. Die werden fortgeführt. Alles vergeht, Schmidt, Kohl und Schröder sind nicht mehr Kanzler, aber den Mythos RAF, den gibt es immer noch.



Abendblatt:

Aber als Zuschauer wird man doch gepackt, von den Schauspielern. Und man ist verblüfft darüber, dass dieser kleine Haufen Leute ein ganzes Land zehn Jahre terrorisiert hat.

Röhl:

Wenn mich überhaupt etwas emotional berührt hat, dann war es der fulminante Moritz Bleibtreu als Andreas Baader. Der ist viel witziger, als Baader es je war. Gudrun Ensslin war in Wahrheit hässlich und verkrampft, nicht so wie Johanna Wokalek im Film. Beide waren Horrorgestalten, voll auf Droge. Banaler ging's nicht. Der Film wird inszeniert wie ein Western, mit Rollenverteilung und viel Action. Die haben sich damals als mediengemachte Idole inszeniert, und bis heute werden sie als Revolutionshelden dargestellt. Die meisten Terroristen waren absolut verlorene Gestalten, warum setzt man denen ein Denkmal?


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Abendblatt:

Es war eine einmalige geschichtliche Begebenheit, das muss man doch erzählen dürfen.

Röhl:

Natürlich darf man, aber genau die eine Story hat man nun schon 1000-mal erzählt. Aber es waren nicht nur wenige, es war ein großes Heer. Die RAF war die Speerspitze der 68er-Bewegung. Viele dieser angeblichen Pazifisten waren gewaltbereit. 68 war Pop-Kommunismus, die Ideologie kam von einem Völkermörder namens Mao Tse-tung.



Abendblatt:

Sie wehren sich dagegen, im Film als Kind dargestellt zu werden. Die Kinder von Thomas Mann beispielsweise mussten auch mit ihrer Rolle leben.

Röhl:

Ja, aber deren Vater war Nobelpreisträger, meine Mutter war Terroristin. Ich sehe eine Schieflage darin, dass alte Terroristen als Berater des Films eingekauft wurden, meiner Schwester und mir aber die eigene Biografie fehlinterpretiert wird. In der Mann-Familie gab es Drogen, Selbstmorde, bei uns nicht. Der Mythos Meinhof erstreckt sich auch noch auf die Kinder. Damit muss mal Schluss sein.


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Abendblatt:

Haben Sie Kontakt zu Ex-RAF-Mitgliedern?

Röhl:

Hat es alles im Rahmen von Recherchen gegeben. Ich bin beispielsweise mal in eine Vorführung des Films "Bambule" geraten, den meine Mutter gemacht hat. Da saßen Irmgard Möller, Hanna Krabbe, Günter Sonnenberg und die Schwester meiner Mutter, die wahrscheinlich bis heute die Mutter dieser ganzen Terroristen ist, zusammen und haben darüber diskutiert, ob ich den Film, der meiner Schwester und mir gehört, sehen darf. Die saßen wie aufgeblasene Figuren am Tresen und ließen sich feiern. Es war rappelvoll, und sehr viele junge Besucher waren der Ansicht, dass Mord ein legitimes Mittel der politischen Zielverfolgung sei. Die linke Szene ist groß, es gibt Globalisierungsgegner, Attac, eine hysterische Szene um die Linkspartei herum, in der die Mythen des zu vernichtenden Staates, des zu vernichtenden Systems fortbestehen. Das Ganze ist doch kein Spiel.



Abendblatt:

Die bekommen durch den Börsencrash derzeit weiter Auftrieb.

Röhl:

Sie sind wohl auch so eine Linksradikale (lacht). Aber ernsthaft, auf diese junge Generation der Revolutionsromantiker trifft der RAF-Film eben auch, mit frischen Gesichtern, attraktiven Schauspielern. Den Sog des Terrorismus kann man wahrscheinlich mit einer Art Heroinsucht vergleichen. Das ist kein schöner Trip, sondern ein Horrortrip. Meine Mutter war 100-prozentig auf diesem Trip. Viele Menschen haben versucht, sie davon abzuhalten. Jeder ist gescheitert. Sie hat einen radikalen Strich zwischen sich und der Gesellschaft gezogen, auch zwischen sich und ihren Kindern. Der Terrorismus findet eben auch im Innenverhältnis statt. Und niemand kommt an diese Leute ran. Das ist wie eine Sekte.



Abendblatt:

In Hamburg soll es auch noch Treffen der ehemaligen RAF geben?

Röhl:

Es gab lange ein Cafe in der Schanze, in dem die sich getroffen haben. Die haben dann aber alle an verschiedenen Tischen gesessen, weil sie zerstritten sind und nicht miteinander reden. Nach der Entlassung von Irmgard Möller war ich in der Roten Flora, da gab es einen VIP-Raum, zu dem war nur zugelassen, wer mindestens 18 Jahre gesessen hatte (lacht) .



Abendblatt:

Sie haben bereits ein Buch über Ihre Eltern geschrieben "So macht Kommunismus Spaß". Wollen Sie vielleicht auch die Geschichte der RAF neu erzählen?

Röhl:

Das mache ich bestimmt, aber nicht über die RAF, sondern über die Bundesrepublik. Es gibt noch viele Geschichten zu erzählen. Ein kalter Film wie "Der Baader Meinhof Komplex" ist bei Weitem nicht der ultimative RAF-Film.