Hamburg. Seit dem massiven Protest gegen die Volkszählung vor 25 Jahren hat es so einen Aufschrei über die Datensammelwut des Staates nicht mehr gegeben. Zunächst leise und jetzt immer lauter formiert sich ein bundesweiter Widerstand gegen das, was Patrick Breyer vom "Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung" den "schlimmsten Angriff auf die Privatsphäre der Bürger" nennt: die Vorratsdatenspeicherung.

Erstmals in der deutschen Geschichte haben 30 000 Bürger einen Rechtsanwalt mit einer Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht beauftragt. Insgesamt hatten sich sogar 80 000 alarmierte Handy- und Internetnutzer bei der Bürgerrechtsbewegung "Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung" dafür registriert. 50 Ortsgruppen machen inzwischen bundesweit mobil. Nun erwarten die Bürgerrechtler in den nächsten Wochen eine Entscheidung der obersten Richter über ihren Eilantrag zur Aussetzung des zum 1. Januar beschlossenen Gesetzes.

Danach müssen die Telekommunikationsunternehmen sechs Monate lang speichern, wer mit wem, wie lange und - bei Handy-Gesprächen - von wo telefoniert wurde. Außerdem wird über die IP-Adressen die Zeit des Internet-Zugangs registriert, der E-Mail-Verkehr sowie Internet-Telefonie. Dabei geht es nie um den Inhalt der Gespräche oder aufgerufenen Internetseite, sondern nur um die Verbindungsdaten. Polizei und Staatsanwaltschaft können sie bei Verdacht auf eine Straftat mit richterlichem Beschluss einsehen. Die Inhalte der angeklickten Seiten ließen sich allerdings laut Breyer relativ leicht über die Betreiber der Internetseiten nachvollziehen, die die IP-Adressen ihrer Besucher häufig speichern.

Für Datenschützer ist genau das die Horrorvision vom Überwachungsstaat. Abgesehen davon, dass sich auch Unbefugte Zugang zu dem riesigen Datenpool verschaffen könnten, fürchten die Bürgerrechtler vor allem "massive Kommunikationsstörungen". "Die Menschen, die sich über diese Überwachung im Klaren sind, werden in bestimmten Situationen nicht mehr telefonieren oder mailen", warnt Breyer. "Damit fällt ein modernes Kommunikationsmedium einfach weg." Schon jetzt gebe es Steuerberater, deren Mandanten sie nicht mehr anrufen wollen. Ihre Sorge: Mit auffällig vielen Verbindungsdaten zum Steuerberater könnten sie in den Verdacht der Steuerhinterziehung geraten.

Auf diesen Punkt bezieht sich auch die 150-seitige Verfassungsbeschwerde des Arbeitskreise. Es drohten "massive Kommunikationsstörungen". Einerseits würde jeder Bürger grundlos wie ein potenzieller Straftäter behandelt. Andererseits drohte etwa Journalisten der Abbruch von Informantenkontakten, Telefonseelsorgern das Ausbleiben von Anrufen von Menschen in Not, Strafverteidigern der Wegfall anonymer Anzeigen.

Anders als bei der Volkszählung, bei dem direkt anonym Fragen gestellt wurden, ließen sich heute über die EDV viele persönliche Daten unbeobachtet sammeln, meint Breyer. Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung wendet sich deswegen in einem großen Bündnis mit Gewerkschaften, Ärzte-, Anwalts- und Journalistenverbänden auch gegen die geplante Online-Durchsuchung oder die Nutzung von Mautdaten für die Strafverfolgung. Breyer ist sogar sicher: "Nach diesen Möglichkeiten hätte sich die Stasi die Finger geleckt."