Hatun Sürücü wurde 2005 erschossen. Ein Bruder wurde verurteilt, zwei freigesprochen. Ein Fehler?

Leipzig/Berlin. Hatun Sürücü war 23 Jahre alt, als sie starb. Ihr jüngster Bruder Ayhan richtete sie am 7. Februar 2005 vor ihrer Haustür hin, weil ihr westlicher Lebensstil der Familie nicht passte.

Als das Berliner Landgericht den geständigen Mörder im April 2006 zu einer Jugendstrafe von neun Jahren und drei Monaten verurteilte und die beiden älteren Brüder aus Mangel an Beweisen freisprach - Mutlu soll die Pistole besorgt, Alpaslan während des Mordes Wache gestanden haben -, löste das Urteil eine Welle der Empörung aus. Denn alles deutete darauf hin, dass es sich um einen vom Familienrat beschlossenen "Ehrenmord" gehandelt und dass man den Jüngsten als Täter ausgeguckt hatte, weil er noch unter das Jugendstrafgesetz fiel. Der türkischstämmige Europaparlamentarier Cem Özdemir empörte sich damals, dieses Urteil sende "die falschen Signale in die Gesellschaft".

Tatsächlich haben die Eltern vor Gericht nur Sorge um ihre Söhne gezeigt. Hatuns Schwester erklärte vor laufenden Kameras lächelnd, ihre Schwester sei jetzt im Paradies ("Ihr geht es gut!"), und Ayhans Brüder Alpaslan und Mutlu ließen sich im Gerichtssaal von Freunden und Verwandten wie Helden feiern. Michael Degreif, der Vorsitzende Richter der 18. Großen Strafkammer, hat sich dieses Theater damals mit versteinertem Gesicht angeschaut und beteuert, seine Kammer gewähre "keinen kulturellen Rabatt".

Der Leipziger Bundesgerichtshof hat die beiden Freisprüche gestern kassiert und das Berliner Landgericht angewiesen, den Fall neu aufzurollen. Eine wirkliche Überraschung war das nicht, schließlich hatte Bundesanwalt Hartmut Schneider bereits vor einer Woche gesagt, die Freisprüche für Mutlu und Alpaslan könnten keinen Bestand haben. Es gebe "Lücken in der Beweisführung". Schon der Umstand, dass Schneider sich der Revision der Berliner Staatsanwaltschaft angeschlossen hatte, war im Vorfeld der gestrigen BGH-Entscheidung als Zeichen dafür gewertet worden, dass er den Fall als aussichtsreich bewertet hatte.

Auch im zweiten Prozess wird es vor allem auf die Aussage von Ayhans Freundin Melek A. ankommen. Die 18-Jährige hatte vor Gericht ausgesagt, ihr Freund habe ihr anvertraut, dass er seine Schwester töten wolle und dass ihm seine Brüder dabei helfen würden. Melek K. will nach der Mordtat auch gehört haben, wie Alpaslan seinen Bruder anfuhr: "Ich hab dir doch gesagt: ,Schieß ihr in den Kopf!'"

Richter Michael Degreif hat seine Freisprüche für Mutlu und Alpaslan Sürücü am 14. April 2006 mit den Worten begründet, die Zeugin Melek A. sei zwar glaubwürdig, Einzelheiten ihrer Aussage seien aber zu wackelig, um lebenslange Haftstrafen für die beiden älteren Brüder zu rechtfertigen. Melek A. lebt seitdem im Zeugenschutzprogramm.

Während das Urteil gegen Ayhan Sürücü längst rechtskräftig ist - das Gericht bescheinigte dem Tätet "Eiseskälte" -, müssen sich seine beiden Brüder jetzt auf einen neuen Prozess einstellen. Auf einen anderen Richter, der sich hoffentlich mehr Respekt in seinem Gerichtssaal verschaffen wird, als es Michael Degreif damals gelungen ist, auf einen anderen Staatsanwalt, der sich von den Angeklagten nicht mit einem "Halt deine Klappe!" über den Mund fahren lassen wird.

Alpaslan und Mutlu Sürücü sollen zurzeit in der Türkei leben. Das Lachen wird ihnen vermutlich erst einmal vergangen sein.