Jörn Graue, Chef des Hamburger Apothekervereins (421 Mitglieder), im Interview zu Tricks der Kriminellen und der Arbeit der Fahnder.

ABENDBLATT: Herr Graue, als Vorsitzender des Hamburger Apothekervereins haben Sie vermutlich ein Interesse daran, dass gegen die schwarzen Schafe in den eigenen Reihen vorgegangen wird. Was können Sie aktiv tun, um den Rezeptbetrug mit Millionenschäden einzudämmen?

JÖRN GRAUE: Der Gesetzgeber hat mit dem Paragrafen 197a des Sozialgesetzbuch V den Krankenkassen die Möglichkeit geöffnet, einen internen Datenabgleich durchzuführen, wenn ein Anfangsverdacht auf Abrechnungsbetrug vorhanden ist. Der Austausch der Daten gestaltet sich außerordentlich zähflüssig. Eine Aufgabe des Apothekervereins ist es, die Zusammenarbeit der einzelnen Krankenkassen und Krankenkassenarten untereinander zu koordinieren. Das Ganze ist ein riesiges Puzzle. Das Erkennen gefälschter Rezepte oder manipulierter Abrechnungsdaten erfordert ein hohes Maß an pharmazeutischer und pharmakologischer Sachkenntnis und ist im wahrsten Sinn eine Sisyphusarbeit.

ABENDBLATT: Gibt es so etwas wie eine organisierte Kriminalität bei diesen Betrügereien?

GRAUE: Es gibt mafiose Vereinigungen, bei denen einzelne Ärzte, Versicherte, Zuträger und Apotheker zusammenwirken. Der Hamburger Taskforce aus Krankenkassen, Apothekerverein, Apothekerkammer und Kassenärztlicher Vereinigung ist es gelungen, in kürzester Zeit einen weit gefächerten Zirkel organisierter Kriminalität mit Hilfe des Landeskriminalamtes zu zerschlagen. Hierbei wurden zum Teil gefälschte oder gestohlene Krankenversichertenkarten und mehr oder weniger raffiniert gefälschte Rezepte eingesetzt. Es gab auch eine Vielzahl von Rezepten, die von Ärzten oder deren Personal "erschlichen" wurden, ohne dass der Arzt die "Patienten" jemals zu Gesicht bekommen hat. Diese Rezepte wurden nur in bestimmten Apotheken eingelöst, die weit entfernt vom Wohnort des mutmaßlich Versicherten oder der Arztpraxis lagen. Je näher wir der Gang kamen, desto ausgeklügelter wurden die Fälschungen.

ABENDBLATT: Bei dem Fall, der bald zur Anklage kommen soll, dauerte es von den Razzien bis zur Anklage zwei Jahre. Kann man die Betrüger nicht schneller vor Gericht stellen?

GRAUE: Nach Aussage der Staatsanwaltschaft sei diese - auch wegen wechselnder Zuständigkeit - so überlastet, dass es nicht schnell zu einer Anklage kommen könne. Aus Sicht der Taskforce ist dies bedauerlich. Wir können den Gerichten nur zuarbeiten. In einem Fall verhedderte sich die Justiz selbst, indem sie den Ermittlungsbehörden den zu untersuchenden Zeitraum auf drei Monate beschränkte, um dann zur Feststellung zu gelangen, dass keine Erkenntnisse vorlägen, dass der Beschuldigte im Anschluss weitere Straftaten begangen hätte.

ABENDBLATT: Wie hoch schätzen Sie den Schaden nur beim Rezeptbetrug in Hamburg? Wie hoch dürfte er bundesweit sein?

GRAUE: Bei Schätzungen sollte man vorsichtig sein, bei Hochrechnungen noch mehr. Die von der Taskforce festgestellten Schadenssummen belaufen sich im Berichtszeitraum auf circa fünf Millionen Euro in Hamburg. Bundesweit dürfte der Schaden nicht unter einer Milliarde Euro liegen, wobei noch mit einer Dunkelziffer unbekannter Größenordnung zu rechnen ist.

ABENDBLATT: Was können die Ärzte, was Kassen und Patienten tun, damit die Zahl der Betrügereien abnimmt?

GRAUE: Grundsätzlich müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass die Kriminalität immer neue Wege sucht und findet. Wenn die Behörden schneller und zügiger arbeiten könnten, wäre der Solidargemeinschaft sehr geholfen.