Er diente drei Kanzlern als Minister. Seine Unverbindlichkeit brachte manchen zur Verzweiflung. Doch als die Kommunisten ins Wanken gerieten, packte er verbindlich zu. Vor allem dafür wollen ihn 1500 Weggefährten morgen feiern.

Hamburg. Es war zuletzt still geworden um den Mann, der 18 Jahre lang und damit länger als jeder andere deutsche Politiker das Amt des Außenministers bekleidet hatte. Füllte Hans-Dietrich Genscher nach seinem überraschenden Rücktritt im Mai 1992 noch ein paar Jahre die Rolle des Elder Statesman aus, die andere seiner Generation von Graf Lambsdorff bis Helmut Schmidt oder auch Helmut Kohl noch immer pflegen, ließen ihn gesundheitliche Probleme danach deutlich kürzer treten.

Doch wenn er an diesem Mittwoch seinen 80. Geburtstag feiert, dann werden noch einmal alle dabei sein, um "den mit den Ohren", wie Herbert Wehner über den ebenfalls aus Ostdeutschland stammenden Politiker bissig spottete, zu ehren. Dann werden langjährige Weggefährten von Henry Kissinger, Juri Dienstbier bis hin zu Eduard Schewardnadse (Michail Gorbatschow musste wegen Krankheit absagen) noch einmal Geschichte lebendig werden lassen. Und dann wird die FDP jenen Politiker hochleben lassen, dem sie wohl am meisten in ihrer Parteiengeschichte zu verdanken hat.

Die Liberalen werden "Genschman" - auch so eine von den vielen Plaketten, die an dem Politiker kleben - in einem Oldtimer Audi Imperator Jahrgang 1927 von der Berliner Parteizentrale zum eigens für diesen Anlass gemieteten Sarrasani-Festzelt kutschieren. Sabine Christiansen und Max Schautzer führen dort 1500 Gäste durch den Gratulationsabend.

Es ist viel geschrieben worden über Hans-Dietrich Genscher. Heraus kam ein Bild, das ihn meist als den Taktiker, Strategen oder alten Fuchs sah. Als Journalist mit Genscher ein Interview zu führen war für die meisten Kollegen eine ziemliche Strafarbeit. "Nageln Sie mal einen Pudding an die Wand", diese Metapher umschrieb am treffendsten die Neigung des Außenministers, den Begriff Diplomatie wörtlich zu nehmen. Fast immer freundlich, stets unverbindlich, so hat ihn auch der Autor dieser Zeilen erlebt. Genscher war aber auch einer, der sich mit politischen Winkelzügen auskannte und sie auch praktizierte und der oft früher als andere die richtige Witterung für Personen und Veränderungen hatte.

Schon 1962 soll er über Helmut Kohl gesagt haben: "Der wird einmal Bundeskanzler." Und als sich nach der Machtübernahme von Michail Gorbatschow im Kreml seit 1985 eine Veränderung der Politik gegenüber dem Westen abzeichnete, erkannte Genscher als einer der Ersten im Westen die Bedeutung dieses Kurswechsels. Seine "aktive Entspannungspolitik" brachte ihm allerdings in den USA Kritik ein. Der Begriff des "Genscherismus" entstand, und hinter ihm schwelte der Verdacht, der deutsche Außenminister verfolge einen Sonderweg zwischen Ost und West. Ein Verdacht, der ihn geschmerzt haben muss, gehörte Genscher doch zu denen, für die das Atlantische Bündnis absoluten Vorrang hatte. Von einer Äquidistanz zu den Großmächten wollte er nie etwas wissen.

Das hat gewiss auch mit seiner Biografie zu tun. Am 21. März 1927 in Reideburg bei Halle an der Saale geboren, fällt Genschers Jugend in die Nazi-Zeit. Flakhelfer mit 16, Arbeitsdienst und noch fünf Monate als Pionier in der Wehrmacht. Im Mai 1945 gerät er noch für zwei Monate in Gefangenschaft. Nach dem Krieg folgt eine Juristenausbildung, die er mit beiden Staatsexamen abschließt. 1952 Flucht aus der DDR nach Bremen, wo er als Rechtsanwalt arbeitet und in die FDP eintritt.

Vier Jahre später legt Genscher mit seinem Wechsel als wissenschaftlicher Assistent in die FDP-Bundestagsfraktion den Grundstein für eine atemberaubende Karriere, die ihm 1974 das Amt des FDP-Chefs einbringt. In der ersten sozial-liberalen Koalition wird der Hallenser erst Innenminister, nach dem Rücktritt von Willy Brandt dann Außenminister und Vizekanzler unter Helmut Schmidt.

Hans-Dietrich Genscher ist nie ein besonderer Freund des sozial-liberalen Projekts. Gegenüber einem Redakteurskollegen soll Genscher einmal gesagt haben: "Ach, wissen Sie, mit Sozialisten kann man einfach keine gute Politik machen." Das betrifft auch seinen Verdacht, die Sozialdemokraten um Brandt und Egon Bahr könnten gegenüber der DDR-Führung zu nachgiebig sein. Zu der Ostpolitik der SPD sieht jedoch auch Genscher keine Alternative.

Als sich im Sommer 1989 der Zusammenbruch des DDR-Regimes ankündigt, ist es Genscher, der an der Destabilisierung Ostberlins kräftig mitwirkt. Er sorgt zunächst dafür, dass die mit Flüchtlingen verstopften Botschaften in Warschau und Prag überfüllt bleiben. Die Bilder, die damals um die Welt gehen, zählen zu den Sargnägeln für den "real existierenden Sozialismus".

Unvergesslich dann sein Auftritt in der Prager Botschaft Bonns am 30. September 1989, als er auf dem Balkon des Palais Lobkowitz den Flüchtlingen die Botschaft von ihrer Ausreisegenehmigung durch die tschechische Regierung überbringt. Genscher wird diesen Augenblick später einmal als Höhepunkt seiner politischen Laufbahn bezeichnen, in dem sich der "Urstrom der Geschichte" zeigte. Es hat nur wenige öffentliche Auftritte gegeben, bei denen so tiefe Emotionen des Hallensers sichtbar wurden.

Vielleicht wirft diese Szene auch ein Licht auf den Menschen Hans-Dietrich Genscher. Seine Erfahrungen mit der DDR-Diktatur und die Spaltung Deutschlands sorgten für den politischen Antrieb des durch und durch deutschen Patrioten. Langjährige Weggefährten und Beobachter glauben sogar, dass sein überraschender Rücktritt im Jahr 1992 erfolgte, weil er seine Mission, die Einheit Deutschlands zu erreichen, als erfüllt ansah.

Genschers Leistung beim Management des Umbruchs der Jahre 1989 bis 1991, insbesondere der Zwei-plus-Vier-Prozess, wird von dem Historiker Hans-Peter Schwarz als überragend angesehen. Sie habe aus einem Politiker, der vorher immer "guter Durchschnitt"war, einen Großen gemacht. Andere verglichen ihn gar mit Gustav Stresemann, seinem berühmten Amtsvorgänger aus der Weimarer Zeit.

Frank-Walter Steinmeier, derzeit auf dem Posten des Außenministers, formuliert in einem Glückwunschbeitrag der "Zeit", nur wenige Politiker seit 1945 hätten die Geschicke Deutschlands so lange und so nachhaltig geprägt wie er. Das wird der Mann mit dem gelben Pullover gerne hören.