Sie waren Schläger, bei den blutigen Auseinandersetzungen nach den Dynamo-Spielen stets dabei. Jetzt versuchen sie, gegen ebendiese Gewalt anzugehen - mit dem Projekt “Fan statt Hooligan“.

Schwerin. Als wäre es eingebrannt. Wie ein Mal, das nicht mehr wegzukriegen ist. Ronny (32) trägt es mit sich herum - "Skinhead-Hooligan". Sieht doch jeder; so wie der aussieht. Kurz geschoren, wuchtig, tätowiert. Klare Sache. Und solche Leute haben in der guten Stube der Anständigen der Gesellschaft nichts zu suchen. Bloß nicht mit denen sprechen, immer auf Distanz halten. So reagierte das Umfeld, damals 1992, auf den Jugendlichen. Und so reagiert es größtenteils auch heute noch, 15 Jahre später.

Damals hatte das fatale Folgen: Zwischen dem 22. und 26. August 1992 brannte es wirklich. In Rostock-Lichtenhagen flogen Molotowcocktails auf das "Sonnenblumenhaus", eine Unterkunft für Asylbewerber mitten im postsozialistischen Plattenrevier. Der Frust der ersten Nachwende-Jahre entlud sich in bis dahin ungekannter Gewalt. Und Ronny mittendrin. "Das war so was wie ein Happening. Wir haben uns ins Auto gesetzt und sind von Schwerin aus hingefahren", sagt Ronny. "Inmitten von 5000 Leuten, die einen angefeuert haben. Da war was los." Das Landgericht Schwerin verurteilte Ronny im Juni 2002 wegen Brandstiftung und Mordversuchs in Lichtenhagen zu zwölf Monaten auf Bewährung.

Erklären kann sich Ronny seine Krawall-Lust heute auch nicht mehr. Persönlich habe er damit "schon lange abgeschlossen", sagt er. In der Rückschau sei der Grund wohl eine Mischung gewesen aus Langeweile ("Wir haben nur rumhängen können"), Enttäuschung, Abenteuerlust und dem Gefühl, ausgegrenzt zu sein und abseits zu stehen.

Ein Eindruck, der sich über die Zeit zwischen Lichtenhagen und heute gehalten hat. Ronny, seine Kumpel wie Schulle, Lücki, Otto, Fentzi und andere waren desillusioniert und sind es noch. Von der Politik, von der Öffentlichkeit und den moralschwangeren Reden und Appellen um sie herum. Denn über sie, die "Schläger" und "Bürgerschrecks" vom SG Dynamo Schwerin, reden zwar viele, auch gern und ausführlich, nur mit ihnen redet kaum jemand.

"Der Name Dynamo steht bei den meisten Menschen für Gewalt, weil es bis 1993 richtige Schlachten während und nach den Spielen gegeben hat. Das bleibt hängen, auch wenn es heute anders ist", sagt Ronny.

Im August 2005 haben er und Manfred Radtke das Projekt "Fan statt Hooligan" bei Dynamo gegründet mit dem Ziel, Gewalt und Rassismus vorzubeugen - und das eigene Image aufzupolieren. Eine schwierige Aufgabe. "Die Leute kriegen Angst, wenn sie eine Gruppe von tätowierten Typen sehen. Da wird meist sofort dichtgemacht. Gespräch unmöglich", sagt Ronny. Dass das Aussehen diese Reaktionen irgendwie auch provoziere, könne er ja nachvollziehen. "Aber dieser Stil gehört nun mal dazu", sind sich Ronny und seine Dynamo-Kumpels einig. Mit dem Aussehen etwas auffallen, anders sein, sein eigenes Ding machen, das gibt Identität und Sicherheit.

Doch genau dies war in den Jugendjahren nach der Wende einfach und unvermittelt explodiert. Die DDR brach zusammen, der neue Glaube und die Verheißung hieß nun "Freiheit". Eine Welt voller Möglichkeiten, die sich aufzutun schien. Für die Jungen, wie den Schulabgänger Ronny, eine schöne bunte Zukunftswelt.

"Aber da hat man wohl alles prächtiger gesehen, als es dann gekommen ist", sagt Ronny. Der Tatendrang und die Lust, anzupacken, sie konnten sich nicht entfalten. Statt Aufschwung war "Plattmache"angesagt. Das neue Weltbild bekam erste Risse, dann zersplitterte es.

"Was damals fehlte war Orientierung, waren klare Regeln, und vor allem fehlte die Möglichkeit Selbstbestätigung zu erfahren", sagt der Soziologe und Jugendforscher Klaus Farin vom Archiv der Jugendkulturen in Berlin. Farin erforscht und analysiert seit rund zwei Jahrzehnten die Entwicklung in verschiedenen Jugendmilieus und hat mehrere Arbeiten zum Thema Skinheads und Rechtsradikalismus verfasst. Wer sonst keine Erfolgserlebnisse habe, so Farin, könne sie sich durch physische Gewalt oder auch schon durch ein einschüchterndes Aussehen schnell beschaffen.

Skinheads und Hooligans in den neuen Bundesländern nur als "Opfer der Gesellschaft" hinzustellen sei zu einfach. Ideologiefeste Nazis treffe man in diesen Gruppen zudem eher selten. Rechts aussehen habe eben im Zweifel den größten Schock-Faktor in der Öffentlichkeit. "Aber die Strategie der Ausgrenzung und Stigmatisierung dieser jungen Männer als Verlierer und Dummköpfe hat nur dazu geführt, die Aggressionen aufzubauen und die Ablehnung gegenüber der Gesellschaft zu verstärken", erklärt Klaus Farin.

Bei Dynamo führte diese Abwendung von der Gesellschaft jetzt zum Bau eines eigenen kleinen Reichs. Allerdings unter anderen Vorzeichen als denen der Radikalisierung. "Mit den ersten Erfolgen beim Projekt ,Fan statt Hooligan' hatten wir das Gefühl, dass wir wirklich etwas erreichen können. Auch wenn es nur ganz banale Dinge des Alltags sind", sagt Ronny. Und Ko-Initiator Manfred Radtke unterstützt: "Hier haben die Jungs das erste Mal das Gefühl, das ihnen viel zu lange gefehlt hat: Vieles ist machbar, wenn man nur die Möglichkeit hat, anzupacken."

Mit dem eigenen Einsatz für "ihr Ding Dynamo" habe sich bei den jungen Männern wieder Begeisterung für eine Sache eingestellt. Und vor allem gebe es eine Leistung, auf die man auch guten Gewissens stolz sein könne.

Immer noch hätten die Jungs aber mit dem Stigma der alten Tage zu kämpfen. Denn zu den Ausschreitungen von Lichtenhagen gesellten sich damals nicht einmal ein halbes Jahr später noch Straßenschlachten bei Fußballspielen in der Kreis- oder Regionalliga. In der Mecklenburger Provinz trafen sich "Fußballfans" zum Draufschlagen und Reintreten, wahlweise untereinander oder mit der Polizei oder beides. Der Höhepunkt einer jeden ansonsten langweiligen Woche.

Am Ende immer das gleiche Bild: verwüstete Stadien, demolierte Gebäude, Hooligans mit Platzwunden am Schädel und mindestens ein Dutzend verletzte Polizisten. Wieder eine Schlacht geschlagen. "Da waren wir natürlich völlig unten durch", sagt Ronny, der zu diesen Zeiten gleich mehrere Verfahren unter anderem wegen Körperverletzung und Vandalismus gegen sich laufen hatte. "Irgendwie war es wie in einer Spirale, aus der einem auch keiner raushalf. Obwohl man selber die Schnauze von der ganzen Gewalt voll hatte."

Offene Ohren für seine Probleme habe es damals nirgends gegeben. Und heute sei es auch nicht anders, sagen die Jungs vom Dynamo-Projekt. In ihrer Gruppe, da fühlten sie sich ernst genommen. Sobald sie aber die Grenzen ihres kleinen Reiches verließen, begegne ihnen vielfach die gleiche Ablehnung wie schon in den letzten 15 Jahren. "Dabei ist die einzig sinnvolle Methode die, sich mit den jungen Leuten zu beschäftigen", sagt Klaus Farin. "Das bedeutet nicht, sich mit ihnen unbedingt gemein zu machen." Aber wer gegen vermeintliche Vorurteile angehen wolle, der müsse sie erst einmal bei sich abbauen. "Auch wenn das manchem unangenehm und schmerzlich erscheint", so Farin. Vielleicht ebenso schmerzlich wie das Brandmal der Vergangenheit für Ronny.