Datenschützer und Ärzte warnen vor der elektronischen Gesundheitskarte. Ärztliche Schweigepflicht ist bedroht. Eine Risikoklasse für jeden Bürger.

Hamburg. Es ist nur ein Plastikkärtchen mit einem Chip, dem Namen des Versicherten, einer Nummer und einem Foto. Doch weil zukünftig alle Deutsche diesen Ausweis haben sollen, hat das Milliardenspiel um die elektronische Gesundheitskarte begonnen. 80 Millionen Patienten, 117000 Ärzte in Praxen, 55000 Zahnärzte, 21000 Apotheken und 250 Krankenkassen jonglieren nach Plänen der Bundesregierung bald mit der Karte und den medizinischen Daten. Deutschlands Gesundheitspolitiker setzen alles auf diese Karte. Datenschützer und Ärzte warnen: "Als Ärztin bin ich schockiert, was mit den Patientendaten geschehen soll", sagte die Hamburger Allgemeinmedizinerin Dr. Silke Lüder gegenüber dem "Abendblatt Sonntags". "Auf der Karte kann, anders als bislang bekannt, fast nichts gespeichert werden. Sie ist nur der Schlüssel für einen zentralen Server, wo dann alle Daten des Patienten gespeichert werden sollen."

Der Sprecher des Bundesbeauftragten für den Datenschutz, Dietmar Müller, bestätigte: "Wir haben Vorbehalte bei der elektronischen Gesundheitskarte. Für den Datenschutz ist es ein Problem, wenn Patientendaten auf zentralen Servern lagern." Müller forderte Mitbestimmung der Betroffenen sowie Strafen bei Missbrauch.

Das ist das Schreckensszenario von Ärzten und Datenschützern: Lagern erst einmal alle Daten von allen Patienten auf zentralen Servern der Krankenkassen, ist der Weg nicht mehr weit, bis auch Lebensversicherer, Kreditinstitute und Arbeitgeber alles über die privaten Malaisen ihrer Kunden oder Angestellten wissen wollen.

Zwar kann jeder widersprechen, wenn künftig eine Behandlung oder ein Medikament über die Karte auf einer elektronischen Patientenkarte gespeichert werden soll. "Aber die Patienten werden uns auch nicht mehr alles erzählen, weil sie Angst vor der Datensammlung haben", sagte die Ärztin Lüder. "Durch die zentrale Speicherung ist die ärztliche Schweigepflicht bedroht. Und der Sinn der Karte ist weg, weil man nicht mehr erkennen kann, ob nicht jemand eine frühere Krankheit verschwiegen hat."

Noch läuft die Testphase. Aber schon 2008 sollen die ersten Rezepte über die elektronische Gesundheitskarte verschrieben werden. 2009 soll sie jeder kriegen. Nicht nur die Einführung hat sich immer wieder verzögert. Auch stiegen die erwarteten Kosten für die Karte von den veranschlagten 1,4 Milliarden Euro auf fünf oder gar sieben Milliarden Euro je nach Gutachten. Wenn jeder Patient vom Kreißsaal bis zum Sterbebett dieselbe Nummer behält, spielt Hamburg dabei eine Hauptrolle. Die Deutsche Angestellten Krankenkasse (DAK) plant in Hamburg ein riesiges Rechenzentrum, das die Daten von 200 weiteren Kassen verwalten soll, Kapazität für knapp 30 Millionen elektronische Patientenakten. "Bei der Entwicklung der Gesundheitskarte sind wir weit vorne", sagte DAK-Sprecher Jörg Bodanowitz, versicherte aber: "Die Technik ist sicher. Die Patienten können ihre Versichertendaten einsehen. Wir können nicht auf die Daten anderer Kassen gucken."

Doch mit der Gesundheitskarte soll künftig jeder Patient auch eine Art Risikoklasse bekommen. Durch die Gesundheitsreform wird im Fonds auch der milliardenschwere Finanzausgleich der Kassen geregelt. Dieser ist künftig noch stärker daran gebunden, wie krankheitsanfällig ein Versicherter ist.

"Schon mit dem elektronischen Rezept werden Krankheitsprofile erstellt", warnte Lüder. "Die Risikoklassen begleiten die Patienten künftig ein Leben lang."

Ärzte in Hessen und Bremen stemmen sich vehement gegen das Projekt. In Schleswig-Holstein unterschrieben 230 Mediziner eine Resolution. In Hamburg schlossen sich auf einer Veranstaltung knapp hundert Ärzte dem Protest an. Wie sicher die Daten sind, demonstrierte der Chaos Computer Club: Weil die Betreibergesellschaft der Gesundheitskarte ein streng vertrauliches Gutachten der Unternehmensberatung Booz, Allen, Hamilton nicht veröffentlichen wollte, knackten es die Hacker und machten die Zahlen publik. Danach kostet die Einführung der Karte fünfmal mehr als geplant.