Hamburg. Noch immer fordert jeder Zoll an ihm die Anrede "Exzellenz", aber der betagte Herr im dunkelblauen Anzug winkt ab. "Ex-Exzellenz, bitte", lächelt er.

Asher Ben Nathan, Jahrgang 1921, war Israels erster Botschafter in Deutschland nach Krieg und Holocaust. Von 1965 bis 1969 saß er auf dem damals heißen Stuhl: In beiden Ländern gab es große Ressentiments gegen die Aufnahme diplomatischer Beziehungen. Der Rücken ist kerzengrade, doch der Gang etwas unsicher, als Asher Ben Nathan, vor 85 Jahren in Wien als Arthur Piernikatz geboren, das Abendblatt-Center im Verlag Axel Springer betritt. Vor einer Woche erst ist er aus der Klinik in Tel Aviv, wo er lebt, entlassen worden. "Ich sehe besser aus, als ich mich fühle", gibt er zu, als Abendblatt-Verlagsgeschäftsführer Florian Kranefuß ihn begrüßt. Asher Ben Nathan, der der Vernichtung durch die Nazis entging, will sich die Ausstellung "Verstummte Stimmen. Vertreibung der ,Juden' aus der Oper 1933-45" ansehen, die das Schicksal von insgesamt 71 jüdischen Sängern, Komponisten und Dirigenten in der Nazi-Zeit dokumentiert. Aber auch auf die Verfolger und Profiteure wird eingegangen. Ein Teil ist im Abendblatt-Center zu sehen, der andere in der Hamburgischen Staatsoper.

Für den früheren Botschafter Israels ist der Gang durch die eindrucksvolle Ausstellung zugleich ein Ausflug in die eigene Erinnerung. Es sind Namen und Bilder, die er noch gut kennt. Vor einem Porträt der schönen Sopranistin und Schaupielerin Gitta Alpar bleibt er entzückt stehen: "Die habe ich oft gehört". Die ungarische Jüdin Alpar war mit dem deutschen Filmstar und Frauenschwarm Gustav Fröhlich verheiratet. Doch er verlässt sie und die gemeinsame Tocher - um seine Karriere nicht zu gefährden. Gitta Alpar, der "weibliche Richard Tauber", flieht aus Deutschland und stirbt 1991 im amerikanischen Palm Springs.

Bei den jüdischen Star-Tenören Richard Tauber und Joseph Schmidt, die noch immer zu den allzeit besten ihres Faches zählen, stülpt sich Asher Ben Nathan sofort die Kopfhörer auf und lauscht den unvergessenen Stimmen. Sein Gesichtsausdruck wird leer; man spürt, wie sein Geist eine Zeitreise unternimmt - zurück in jene untergegangene Epoche, als er noch Arthur Piernikatz hieß. Joseph Schmidt, wegen seines kleinen Wuchses und der großen Stimme "Taschen-Caruso" genannt, sang noch 1936 in Hamburg. Die Flucht in die Schweiz half ihm wenig, 1942 starb er dort elendig in einem Internierungslager. Sein Kollege Tauber, der "König des Belcanto", emigrierte 1938 nach Großbritannien und starb dort zehn Jahre später.

"Lotte Lehmann", flüstert Ben Nathan ergriffen vor einem anderen Porträt. Die Sängerin floh ebenfalls 1938 und starb 1976 in den USA. Und dann der Kölner Hans Wilhelm Steinberg, der 1936 nach Palästina emigrierte und später einer der größten Dirigenten der USA wurde. Asher Ben Nathan weist kopfschüttelnd auf das Porträt des aus Deutschland vertriebenen Juden: "Kann man noch deutscher aussehen?"

Eindringlich empfiehlt die "Ex-Exzellenz" aus Tel Aviv den Besuch der Ausstellung: "Damit die Jungen verstehen, was nicht verstehbar ist."