Diskussion: Kanzlerin skeptisch gegenüber Zwangsmaßnahmen für Ausländer. Arbeitskreise sollen bis Sommer 2007 Schritte zur besseren Integration erarbeiten.

Berlin. Gut fünfzig Jahre nach dem Abschluß des deutsch-italienischen Anwerbevertrages hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Freitag den ersten Integrationsgipfel in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschlands abgehalten. Merkel bezeichnete das vierstündige Treffen im Internationalen Konferenzsaal des Kanzleramtes als ein "fast historisches Ereignis". Sie sehe den Gipfel als Auftakt zu einer intensiven politischen Diskussion zum richtigen Zeitpunkt, so die Kanzlerin. Bei allen Beteiligten habe man den "großen Willen gespürt, gemeinsam etwas zu bewegen".

Gleichzeitig warnte sie davor, die Veranstaltung mit Erwartungen zu überfrachten. In sechs Arbeitskreisen soll bis zum Sommer 2007 ein Maßnahmenkatalog für eine bessere Integration von Menschen mit Migrationshintergrund, der "Nationale Integrationsplan", erarbeitet werden.

Im Vorfeld des Gipfels hatte es viel Kritik an der Auswahl der insgesamt 86 Teilnehmer gegeben. Angela Merkel stellte sich am Freitag demonstrativ hinter die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Staatsministerin Maria Böhmer (CDU), die die Veranstaltung vorbereitet hatte. Die Kanzlerin lobte ausdrücklich deren "Fingerspitzengefühl" in Bezug auf die repräsentative Gestaltung der Gästeliste. Dies bewies auch Kenan Kolat, der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, in dem er während der Diskussion süßes Baklava reichte.

Der Streit um mögliche Sanktionen für Integrationsunwillige war in den Wochen vor dem Gipfel zu einer vor allen Dingen unionsinternen Kakophonie angeschwollen. Der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) und Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) hatten sich wiederholt für Leistungskürzungen und Ausweisungen ausgesprochen. Der nordrhein-westfälische Integrationsminister Armin Laschet (CDU), der einen eigenen Kurs beim Thema Zuwanderung und Integration vertritt, betonte am Freitag, statt Sanktionen brauche es vielmehr das Signal "Ihr seid uns willkommen." Angela Merkel äußerte sich zurückhaltend über schärfere Sanktionen für Integrationsunwillige. Es müsse ehrlich gesagt werden, daß es bisher mit den Integrationskursen noch keine langjährigen Erfahrungen gebe, sagte sie. Wenn es flächendeckende Angebote gebe, könne überlegt werden, was getan werden kann, "wenn jemand gar nicht will".

Auf die Kosten flächendeckender Integrationskurse angesprochen, reagierte Vizekanzler Franz Müntefering (SPD), dessen Krawatte farblich eindeutige Multikulti-Tendenzen auswies, mit Unverständnis. "Wir dürfen da nicht so kleinkariert denken", sagte er. "Wenn wir keine Kurse anbieten, müssen wir eben mehr Arbeitslosengeld bezahlen."

Vertreter aus Kirchen, Politik und Verbänden bewerteten den Gipfel positiv. "Der Gipfel war ein guter Anfang", sagte Bekir Alboga, Imam und Dialogbeauftragter der Türkisch-Islamischen Union (DITIP) dem Abendblatt. "Aber wir hätten noch mehr Zeit gebraucht." Nur rund 30 der Teilnehmer konnten ihre Positionen in Redebeiträgen darlegen. "Eine größere Plattform für die Beiträge der Migranten wäre wünschenswert gewesen", pflichtete Gül Keskinler, Mitglied der Frauen-Union und Managerin eines integrativen Sportprojekts, ihm bei.

Sie betonte die Wichtigkeit, deutsche Strukturen auch für Zuwanderer zu öffnen. Alboga wollte am Abend mit anderen Gipfelteilnehmern im türkischen Fernsehsender TGRT über den Gipfel diskutieren.

"Vielleicht werden wir Türken von jetzt an auch untereinander intensiver über Integration reden", sagt er.