Begegnung: Schriftsteller Grass und Springer-Chef Döpfner unternahmen ersten Versuch, alte Gräben zu überwinden. Überraschend ist, daß das Gespräch überhaupt zustande kam. Doch die Bewertung eines bedeutenden Kapitels der deutschen (Presse-)Geschichte bleibt einstweilen kontrovers . . .

Hamburg. Solange sich der Springer-Verlag für die "Jagd auf Heinrich Böll" nicht bei dessen Familie entschuldige, solange würde er, Günter Grass, dem Verlag keine Interviews geben oder Abdruckrechte gewähren. Da sei er ganz altmodisch, sprach der Literatur-Nobelpreisträger noch 1999.

Der Springer-Verlag und Günter Grass, das war (und ist?) seit fast 40 Jahren eine Geschichte, die, wie der Springer-Biograf Michael Jürgs schrieb, mit den zwei Worten "blanker Haß" gekennzeichnet werden kann. Nun zeichnet sich erstmals ein Ende der jahrzehntelangen Fehde ab. Wie kam es dazu?

Möglich wurde die neue Situation durch einen Brief des Vorstandschefs der Springer AG, Mathias Döpfner, mit dem er Grass bat, einen Beitrag für das im vergangenen Herbst erschienene Buch "Neue Blicke auf den Verleger" zu schreiben. In diesem Band äußerten sich anläßlich seines 20. Todestages Weggefährten Axel Springers, Zeitzeugen aber auch ehemalige erbitterte Gegner des Hamburger Konzerngründers. Unter ihnen waren Ex-Bundesinnenminister Otto Schily, Egon Bahr oder Peter Glotz, allesamt SPD-Politiker, die von einzelnen Blättern des Verlages lange Jahre schärfstens kritisiert worden waren.

Günter Grass lehnte die Bitte für einen eigenen Beitrag erneut mit dem Hinweis ab, der Verlag müsse sich erst bei der Familie Heinrich Bölls entschuldigen, der auch 2005 seinen 20.Todestag hatte. In einem Beitrag aus diesem Anlaß hatte Grass zudem noch einmal seine Haltung gegenüber dem Springer-Verlag bekräftigt. Allerdings erklärte sich der Nobelpreisträger zu einem Dialog mit Konzernchef Döpfner bereit. Ende Mai trafen sich die Kontrahenten im Hause des Schriftstellers zu einem mehrstündigen Gespräch, das von dem Journalisten Manfred Bissinger moderiert wurde und in der neuen Ausgabe des Magazins "Der Spiegel" nachzulesen ist. Eine komplette Dokumentation des Disputs soll in Buchform folgen.

In dem "Spiegel"-Gespräch bietet der Springer-Vorstandschef dem Dichter an, die schwierige Vergangenheit der Kontrahenten aufzuarbeiten. Keinen Burgfrieden wolle der Verlag, so Döpfner, "das klingt für mich nach faulem Kompromiss". Aber Fragen diskutieren. Woher das Zerwürfnis komme? Was dazu geführt habe? Und was man vielleicht daraus lernen könne? Antworten, so Döpfner, "wären hilfreich."

Das sieht auch Grass so. "Raus aus dem Lagerdenken, so daß ich vielleicht in späterer Zukunft, ohne schamhaft erröten zu müssen, bereit sein kann, in der ,Welt' einen Artikel oder ein Interview zu veröffentlichen", bietet er an. Ein Schritt Richtung Versöhnung?

Noch ist die Annäherung zwischen Grass, dem "Dichter mit der Dreckschleuder", wie "Bild" einst schrieb, nur der Wunsch zweier Intellektueller. Doch zeigt das Gespräch im "Spiegel " bei allen Differenzen über einzelne Themen, daß hier erstmals von beiden Parteien der Versuch gemacht wird, persönliche Voreingenommenheiten und Verwundungen hinter eine kritische Betrachtung der Geschichte zu stellen.

Die hatte mit den Studentenprotesten Mitte der 60er Jahre begonnen. "Enteignet Springer" hatte es zunächst geheißen, später eskalierte der Zorn der angehenden Akademiker auf den konservativen Verlag. Es kam zu Straßenkämpfen und Anschlägen. Heinrich Böll, der aus seinen Sympathien für die Bewegung keinen Hehl machte, geriet in die Schußlinie von Springer-Blättern. Aus jener Zeit stammt die Parteinahme des Schriftstellers Grass für seinen Kollegen aus dem Rheinland.

Und noch heute ist Grass anzumerken, wie sehr ihn diese Vergangenheit bewegt. "Was das Springer-Haus mit Böll angestellt hat, ist eine Schande für Ihre Zeitungen", wiederholt er im Spiegel-Gespräch und bittet Döpfner, "doch die Größe aufzubringen, sich in aller Form und deutlich lesbar an exponierter Stelle zu entschuldigen."

Bis es dazu kommen wird, so kontert Döpfner, müsse dieses gesamte Kapitel deutscher Geschichte und Pressegeschichte aufgearbeitet werden. Der Konzernchef: "Unser Haus hat ein Interesse daran, daß das geschieht. Ebenso, daß wir über die eigenen Fehler, die in der damaligen Zeit gemacht worden sind, offen und selbstkritisch sprechen." Das sei "kein Zeichen von Schwäche, sondern ein Zeichen von Souveränität".

Es gelte zu fragen, so Döpfner, warum das Springer-Haus damals in "eine Bunker-und Barrikadenmentalität" hineingetrieben worden sei und "warum gebildete Menschen, Studenten, damals in so verblendeter Weise agiert" hätten. "Die deutschen 68er", zitiert der Manager den Historiker Götz Aly "waren ihren Eltern auf elende Weise ähnlich."

Vielleicht ist das 68er-Thema dasjenige, das den meisten Konfliktstoff in der Annäherung zwischen Grass und dem Springer-Verlag in sich birgt. Auf die grundsätzliche Differenz weist Grass hin, wenn er dem Hause Springer vorwirft, noch immer den Geist von 68 weiter zu verfolgen. Dies werde dadurch deutlich, daß auch heute noch Politiker wie Jürgen Trittin oder Joschka Fischer von den Blättern dieses Verlages attackiert würden. "Sie sind wirklich festgenagelt worden als unfähig und untragbar in politischen Positionen", ereifert sich Grass.

Ein Vorwurf, den Döpfner so nicht stehen lassen möchte. Sei es nicht an der Zeit, daß sich die linke Intelligenz auch einer selbstkritischen Revision unterziehen müßte, fragt er. Und weiter: "Wo ist die kritische Auseinandersetzung der 68er zur DDR und zur Stasi? Wann reden wir wirklich Klartext über die Verharmlosung der Terroristen, die von Mielkes und Wolfs Leuten unterstützt wurden? Wann denkt einmal jemand selbstkritisch darüber nach, ob die blindwütige Anti-Springer-Kampagne damals die Brandanschläge auf Axel Springers Privathäuser, den Bombenanschlag auf sein Hambugrer Verlagshaus ausgelöst und seinen Namen auf die Todeslisten der RAF befördert hat?" Sein Haus sei im Hinblick auf 1968 bereit zu einer selbstkritischen Revision, auf der anderen Seite sehe er dagegen "viel Selbstgerechtigkeit".

Weniger konfliktträchtig geht es bei anderen Themen zu, die Grass und Döpfner in diesem ersten Gespräch einer Annäherung streifen. So heben beide die mustergültige "Handhabung von Demokratie und Vielfalt" in Amerika und England hervor. Deutschland sei dagegen immer noch eine "Schuldemokratie", wie der Schriftsteller formuliert. Döpfner im selben Zusammenhang: "Ich bin der Meinung, Deutschland hat historisch seine Bewährungsprobe noch nicht bestanden." Vieles habe sich in den letzten 50 Jahren in die richtige Richtung entwickelt, "aber für mich ist der Beweis, ob Deutschland wirklich freiheitsfähig ist, im umfassendsten Sinne, noch nicht erbracht."

Allerdings verwahrt sich Grass gegenüber dem Vorwurf, "notwendige Kritik an der Politik der US-Regierung mit dem Schlagetotwort "Antiamerikanismus" zu belegen. "Ihre Zeitungen", so Grass an die Adresse Döpfners, "tun das - ,Bild' grobschlächtig, die ,Welt' ein wenig differenzierter. Ich erlebe das als Einschränkung der Meinungsfreiheit."

Für Döpfner ist dies eine "gestörte Wahrnehmung unserer Zeitungen". Nicht jede Amerika-Kritik sei Antiamerikanismus. "Aber viel Kritik, die angeblich nur der gegenwärtigen Regierung gilt, geht in Wahrheit tiefer und wurzelt in einem rechts wie links verbreiteten Ressentiment", kontert er und warnt vor einem falschen Feindbild.

Er halte deshalb auch nichts davon, den einen Fehler mit dem anderen zu entschuldigen. Döpfner wies damit den Grass-Vorwurf zurück, daß die USA über Jahrzehnte hinweg Rechtsdiktaturen unterstützt haben, nur weil sie antikommunistisch waren. Sein Wunsch wäre, daß man etwas mehr Sympathie für Amerika und etwas weniger Häme über die Mißerfolge in Irak an den Tag legte. Döpfner erinnert daran, daß es entscheidend die Amerikaner waren, die Europa erst vom Nationalsozialismus und dann vom Kommunismus befreit hätten. Auch im Blick auf den iranischen Präsidenten warnte er vor Appeasement. Wohin die geführt habe, habe man Ende der 30er Jahre gesehen.

Auch wenn Grass noch einmal den Irak-Krieg der USA kritisiert und für eine Verhandlungslösung in dem gegenwärtigen Atomstreit mit Iran plädiert, schließt er den Einsatz von Gewalt bei einem Scheitern nicht grundsätzlich aus. Und ist damit so weit von der amerikanischen Position gar nicht entfernt. "Ich bin kein Pazifist", fügt er hinzu.

Einen bislang wenig bekannten Aspekt im persönlichen Verhältnis Grass-Springer erläutert der Schriftsteller an anderer Stelle des Gesprächs. Es war 1965, als beide Männer sich erstmals trafen. Grass wollte damals Wahlkampf für die SPD und deren Kandidaten Willy Brandt machen. Da er aber fürchtete, aufgrund seines Schriftstellerberufs eher im Feuilleton als in der Politik abgehandelt zu werden, verabredete er sich mit einem Springer-Journalisten. Der riet ihm, sich an den Verleger zu wenden.

Grass: " Da habe ich ihm aus Amerika einen handgeschriebenen Brief geschickt, und als ich zurückkam, lag eine Einladung vor. Ich flog nach Hamburg, er saß ganz oben im Verlag, hatte Richtung Osten eine große Fensterfront. Wenn er sprach, zeigte er aus dem Fenster. Wir waren uns in einer Sache einig, daß es - keiner wußte, warum - zu einer Wiedervereinigung kommen würde. Die Teilung Deutschlands war nicht haltbar. Auch die Mauer nicht."

Und dann fügt Grass zwei Sätze hinzu, die fast schon wie eine Versöhnung klingen: "Springer hatte für mich etwas Don-Quijote-haftes. Was ja eine liebenswerte Figur ist."

"Raus aus dem Lagerdenken, so daß ich vielleicht in späterer Zukunft, ohne schamhaft erröten zu müssen, bereit sein kann, in der ,Welt' einen Artikel oder ein Interview zu veröffentlichen."

"Wann denkt einmal jemand selbstkritisch darüber nach, ob die blindwütige Anti-Springer-Kampagne die Brandanschläge auf seine Privathäuser ausgelöst und seinen Namen auf die Todeslisten der RAF befördert hat?"