Ausländerhass: Zwei Unbekannte prügelten auf Berliner Politiker ein. Fassungslosigkeit und Entsetzen nach der Attacke auf Giyasettin Sayan. Berlin-Lichtenberg gilt als eine Hochburg der Neonazi-Szene.

BERLIN. Es waren zwei Männer im Alter zwischen 20 und 25 Jahren - und Giyasettin Sayan hatte keine Chance: "Plötzlich schlug einer mit einer Flasche auf meinen Kopf und mein Gesicht. Ich wollte weglaufen, da hat er von hinten auf meine Schulter und meinen Rücken geschlagen. Er sagte: ,Scheiß Türke, wir kriegen dich'." Auch am Sonntag suchte die Berliner Polizei, die nach dem Überfall auf den PDS-Politiker Sayan von einem extremistischen Hintergrund ausgeht, noch nach Zeugen und Hinweisen auf die Täter. Eine Belohnung von 3000 Euro ist ausgesetzt.

Sayan war am Freitag abend in Berlin-Lichtenberg von zwei Unbekannten überfallen worden. Der 56jährige liegt mit einer Gehirnerschütterung und Prellungen im Krankenhaus. Der Staatsschutz hat den Fall übernommen. Lichtenberg gilt als eine Hochburg der Neonazi-Szene.

Politiker aller Parteien zeigten sich entsetzt. Alarmierende Ergebnisse liefert auch der Verfassungsschutzbericht, den Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) heute vorlegen wird. Die Zahl der Neonazis stieg von 3800 im Jahr 2004 auf 4100 im vergangenen Jahr. Die Zahl der gewaltbereiten Rechtsextremisten erhöhte sich von 10 000 auf 10 400, wie eine Sprecherin des Innenministeriums bestätigte. Die Zahl der Rechtsextremen insgesamt ging von 40 700 auf 39 000 leicht zurück. Grund sei der Mitgliederrückgang bei der DVU und den Republikanern.

Kurz vor Beginn der Fußball-Weltmeisterschaft ist ein Streit über die Gründe entbrannt und über die Frage, was die Polizei gegen rechte Gewalt tun könne. Vizekanzler Franz Müntefering (SPD) rief zum Kampf gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit auf. "Wir dürfen der braunen Soße nie mehr eine Chance geben."

Schleswig-Holsteins Innenminister Ralf Stegner (SPD) sagte der "Bild am Sonntag", die Polizei solle "mehr zur Prävention rechtsextremistischer Straftaten beitragen. Dazu gehört auch die Präsenz auf der Straße, zum Beispiel durch Streifenpolizisten in Problembezirken." Der Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses, Sebastian Edathy (SPD), kritisierte die Reaktionszeit der Polizei. Dagegen verwahrte sich der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Konrad Freiberg: "Wir sind doch die einzigen, die handfest etwas dagegen tun." Freiberg beklagte, daß rechte Gewalttaten kurzzeitig Empörung auslösten. An grundlegenden Lösungen fehle es.

Der Zentralrat der Juden warnte davor, Fremdenhaß zu verharmlosen. Generalsekretär Stephan Kramer sagte, es sei "erschreckend", daß sich die Politik mehr Sorgen um den Ruf Deutschlands vor der Fußball-Weltmeisterschaft mache als um den Schutz von Ausländern. Kramer verlangte wie der Grünen-Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck und die stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Petra Pau, eine Bundestagsanhörung zu Rechtsextremismus und Rassismus.