BERLIN. Nach dem sogenannten "Ehrenmord" an der Deutschtürkin Hatun Sürücü haben sich Politiker aller deutschen Parteien dagegen gewandt, der Familie das Sorgerecht für den sechsjährigen Sohn der Ermordeten zuzusprechen. Der SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz nannte es gestern nicht vorstellbar, daß deutsche Behörden der Familie Sürücü das Sorgerecht für den Sohn zusprechen. Die jüngere Schwester Arzu hatte angekündigt, das Sorgerecht beantragen zu wollen.

Wiefelspütz sagte der "Berliner Zeitung": "Es ist ausgeschlossen, daß dies in Betracht kommt." Das Kindeswohl müsse im Vordergrund stehen. Der Europa-Abgeordnete Cem Özdemir (Grüne) sagte der "Welt": "Die Vorstellung, daß das Kind im Kreise derjenigen aufwächst, die möglicherweise eine Mitverantwortung am Tod der Mutter haben, ist unerträglich." Der Rechtsexperte der Unionsfraktion im Bundestag, Jürgen Gehb (CDU), mahnte: "Dies in die Hände der Familie zu legen, das hieße doch, den Bock zum Gärtner zu machen." Falls das zuständige Gericht der Familie das Sorgerecht zuspräche, wäre dies "eine schallende Ohrfeige für das Rechtsempfinden". Für FDP-Fraktionsvize Sabine Leutheusser-Schnarrenberger spricht ebenfalls viel dagegen, "daß das Kind künftig in dem Umfeld aufwächst, welches seine Mutter bewußt verlassen hatte".

Die Debatte über eine Abschiebung der Familie kritisierten Grüne und FDP hingegen als populistisch. "Es gibt keine Sippenhaft in Deutschland. Man kann deshalb nicht die Ausweisung der ganzen Familie fordern, auch wenn deren Tochter durch den jüngsten Sohn ermordet wurde", sagte Leutheusser-Schnarrenberger. Sie fügte hinzu: "Integrationsunwilligkeit ist kein Straftatbestand."

Noch in diesem Jahr soll ein Abkommen mit der Türkei zur Vertiefung der rechtlichen Zusammenarbeit geschlossen werden. Die Türkei hat speziell bei der Verfolgung von sogenannten Ehrenmorden ihre Hilfe angeboten.

Der sechsjährige Junge lebt seit der Ermordung der Mutter durch deren Bruder im Februar 2005 bei Pflegeeltern in Berlin. Der Junge stammt aus der Ehe von Hatun mit einem Cousin, mit dem sie ihre Eltern zwangsverheiratet hatten. Sollte der Sorgerechtsantrag der Familie Sürücü abgelehnt werden, will der Vater des Jungen das Sorgerecht beantragen. Ein Bruder von Hatun war wegen Mordes schuldig gesprochen worden, zwei weiteren Brüdern konnte eine Tatbeteiligung nicht nachgewiesen werden.