Suchtbericht: Deutsche trinken zwar weniger als bisher, aber noch mehr als die meisten Europäer. Experten fordern höhere Steuern auf Zigaretten und Bier sowie ein generelles Werbeverbot.

Berlin/Hamburg. Alkoholische Getränke sollten nach Ansicht von Suchthilfeexperten höher besteuert werden und nicht mehr überall und jederzeit verkauft werden dürfen. Angesichts des besorgniserregend hohen Alkohol- und Zigarettenkonsums forderten die Fachleute gestern in Berlin auch Werbeverbote. "Immer mehr trinken und rauchen sich krank", erklärte die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) bei Vorstellung ihres jüngsten Jahrbuchs in Berlin.

"Alkohol und Tabak sind keine gewöhnlichen Konsumgüter, sondern gefährliche Güter", warnte DHS-Geschäftsführer Rolf Hüllinghorst. Dafür dürfe in Deutschland nicht geworben werden. Von der Regierung erwarte er, daß sie nach dem für April erwarteten Urteil aus Luxemburg im Verfahren über Tabakwerbung einen Aktionsplan Tabak auf den Weg bringe.

Um Jugendliche vom Trinken abzuhalten, sprach er sich für die Verteuerung alkoholischer Getränke aus und nannte als Beispiel die Alcopops, deren Absatz nach der höheren Besteuerung (84 Cent für eine 0,275-Liter-Flasche mit 5,5 Prozent Alkoholgehalt) eingebrochen sei. So müßten auch andere Alkoholika höher besteuert und Wein darin einbezogen werden.

"Eine internationale Studie hat ergeben, daß der Preis das wichtigste Steuerungsinstrument beim Alkohol ist", sagte Hüllinghorst dem Abendblatt. Acht Prozent der Bevölkerung trinken nach einer DHS-Studie 38 Prozent des gesamten konsumierten Alkohols. Die anderen würden in Maßen und mit Genuß trinken, sagte Hüllinghorst: "Denen wird eine Preiserhöhung nichts ausmachen." Er stellt sich vor, daß Wein, der keiner Verbrauchersteuer unterliegt, ebenso hoch wie Bier (in der Regel 9,44 Euro pro Hektoliter) besteuert wird.

Jährlich trinken die Deutschen 145,5 Liter alkoholische Getränke pro Kopf, wie die Zahlen aus 2004 zeigen. Zumeist ist es Bier mit 115,8 Litern, gefolgt Wein mit 20 Litern und Spirituosen mit 5,8 Litern. Umgerechnet auf reinen Alkohol macht das 10,1 Liter jährlich oder mehr als 20 Gramm pro Tag für jeden - vom Säugling bis zum Greis. Bezogen auf die eigentlichen Konsumenten zwischen 18 und 69 Jahren bedeute das knapp 40 Gramm oder vier Gläser täglich und damit mehr als die gesundheitlich unbedenkliche Menge, erklärte Christian Meyer vom Institut für Sozialmedizin der Universität Greifswald.

Damit liege Deutschland weltweit weiterhin auf einem "traurigen Spitzenplatz", in einer Gruppe mit Luxemburg, Ungarn, Tschechien, Irland und Spanien. Beim Bier halten die Deutschen mit 115,8 Liter pro Nase den dritten Rang hinter Tschechien (160 Liter) und Irland (141 Liter). Daher seien die Bemühungen der Brauindustrie, vor allem junge Leute und Frauen als Konsumenten zu gewinnen, "in der Konsequenz gefährlich", warnte Meyer.

Tabak und Alkohol stehen den jüngsten Zahlen von 2004 zufolge bei den problematischen Substanzen ganz oben, vor Medikamenten und weit vor illegalen Drogen. Die Konsequenzen des Konsums legaler Suchtstoffe übersteigen die der Rauschgiftabhängigkeit um ein Vielfaches: Während die Zahl der Drogentoten zum vierten Mal in Folge zurückging - auf rund 1300, sterben jedes Jahr rund 140 000 Menschen, weil sie rauchen. Mehr als 73 000 weitere vorzeitige Todesfälle werden auf Alkoholmißbrauch zurückgeführt. Mißbrauch und Abhängigkeit hätten sich "auf extrem hohem Niveau eingependelt", warnte Hüllinghorst.