Gastarbeiter: Vor 50 Jahren wurden die ersten nach Deutschland geholt

Berlin. "Treffen wir uns heute abend beim Italiener?" "Bring uns doch noch ein paar eingelegte Oliven und Schafskäse für den Salat mit." "Ich hatte so einen Hunger, da habe ich mir schnell einen Döner geholt." Sätze, die heute in Deutschland vollkommen normaler Bestandteil der alltäglichen Konversation sind. Die Gesellschaft in diesem Land hat seit Jahrzehnten auch italienische, griechische oder türkische Anteile. Die Familien, die vor vier Jahrzehnten nach Deutschland kamen, sind vielfach mittlerweile in dritter Generation hier. Von Gastarbeitern redet niemand mehr.

Als 1955 das erste Anwerbeabkommen mit Italien geschlossen wurde, kam eine Entwicklung in Gang, die die Bevölkerungsstruktur in Westdeutschland so nachhaltig veränderte wie zuvor nur die großen Flüchtlingstrecks Mitte der 40er Jahre. Denn kaum jemand dachte damals daran, daß die Angeworbenen auf Dauer bleiben könnten. Legendär ist die Feststellung des Schweizer Schriftstellers Max Frisch: "Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen."

Westdeutschland, zehn Jahre nach dem Krieg: Es herrschte Aufbruchstimmung in der jungen Bundesrepublik; allerorts schmiedeten Bauarbeiter, Bergleute und Stahlkocher am Fundament für einen rasanten wirtschaftlichen Aufschwung, den man später Wirtschaftswunder nennt. Doch die aufziehende Hochkonjunktur brachte auch Probleme mit sich: In einzelnen Branchen drohte schon bald ein akuter Mangel an Arbeitskräften, allen voran in der Landwirtschaft. Dagegen suchten die Menschen im armen Süden Italiens händeringend nach Arbeit.

Im Herbst 1954 nahmen die bundesdeutsche und die italienische Regierung intensive Verhandlungen über ein Anwerbeabkommen auf, das schließlich am 20. Dezember 1955 unterschrieben wurde. Es ebnete in den darauffolgenden Jahren Tausenden Arbeitern vor allem aus dem italienischen Süden den Weg in die Bundesrepublik - zunächst allerdings nur vorübergehend, denn ihre Arbeitsverträge waren auf sechs oder zwölf Monate befristet. Ausgesucht wurden die Arbeitswilligen von einer deutschen Kommission im italienischen Verona.

Während die Westdeutschen in der Folgezeit die italienische Riviera als bevorzugtes Urlaubsziel entdeckten, machten sich umgekehrt viele Italiener in die Bundesrepublik auf - zunächst über Verona als Arbeiter mit Rückfahrticket, später dann auf eigene Faust, nachdem die sogenannte Arbeitnehmerfreizügigkeit im Zuge des EWG-Vertrags von 1958 in Kraft getreten war. Was nur wenige wissen: Seit 1955 zog es insgesamt etwa vier Millionen Italiener nach Deutschland; rund 89 Prozent von ihnen kehrten aber wieder nach "bella Italia" zurück.

Den Italienern folgten Spanier und Portugiesen, Griechen und Türken, Tunesier und Jugoslawen. Den höchsten Anteil an der ausländischen Bevölkerung haben heute Industriestädte wie Stuttgart, wo "beim Daimler" am Band schon in den 50er und 60er Jahren dringend die Arbeitskräfte aus Südeuropa gebraucht wurden. Unter Tage im Revier malochen heute vorwiegend türkische Arbeitnehmer. Schon am 10. Sepember 1964 wurde der millionste Gastarbeiter in Köln-Deutz mit einem Moped begrüßt: Armando Rodrigues de Sa.

Die Geschichte der Italiener in Deutschland steht eher auf der positiven Seite der Zuwanderung in ein Land, das sich Jahrzehnte nicht als Zuwanderungsland verstand. Für andere Ausländer verlief die Eingliederung weitaus problematischer, auch mangels Angebot oder Aufforderung zur Integration. So kommt es immer noch vor, daß Ausländer - oft aus dem islamischen Kulturkreis - 20 Jahre hier leben und kein Wort Deutsch sprechen, daß Migrantenkinder ohne Sprachkenntnisse an die Grundschule kommen. In manchen Regionen etablieren sich Parallelgesellschaften.

Für den Italiener Salvatore Azzolina ist das alles Geschichte. Er kam vor Jahrzehnten auf der Suche nach Arbeit aus dem warmen Sizilien in das kalte Deutschland. Heute, obwohl ohne deutschen Paß, sagt er: "Ich bin Deutscher."