Verunsicherung. Skandale in der Wirtschaft erschüttern die Börsen und die Konjunktur. Affären in der Politik verdrießen die Bürger immer mehr.

Hamburg. Firmenpleiten, Selbstbedienungsmentalität bei Vorstandschefs, Staatsanwälte, die wegen Bilanzfälschungen und Untreue ermitteln, Politiker, die mit Lobbyisten zweifelhafte Geldgeschäfte machen, Aktienmärkte, die zusammenbrechen - derzeit jagt eine Hiobsbotschaft die andere. In der Bevölkerung macht sich Verunsicherung und Angst breit. Viele fragen sich: "Wem kann ich überhaupt noch trauen?" Immer mehr sorgen sich um ihre Zukunft und ihre Ersparnisse. Den Politikern trauen die Menschen offensichtlich nicht, wie Umfragen belegen. "Es herrscht die Auffassung vor: ,Die können es nicht'", sagt Klaus-Peter Schöppner, Chef des Meinungsforschungsinstituts Emnid. Das Vertrauen in die Wirtschaft ist anscheinend nicht größer. "Wir beobachten derzeit eine Hoffnungslosigkeit und Schwarzseherei, wie wir sie seit langem nicht mehr hatten. Sie geht auch tiefer, als es der realen Situation wirklich angemessen wäre." . Erst gestern leitete die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft Ermittlungen wegen Untreue gegen IG-Metall-Chef Klaus Zwickel und Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann ein. Beiden wird vorgeworfen, bei der Übernahme des Telekommunikationskonzerns Mannesmann durch Vodafone vor zwei Jahren als Mitglieder des Aufsichtsrats Abfindungen aus der Konzernkasse in Höhe von 148 Millionen Mark an Manager genehmigt zu haben. Allein Ex-Mannesmann-Chef Klaus Esser kassierte 60 Millionen Mark. . Ex-Telekom-Chef Ron Sommer genehmigte sich und seinen Vorstandskollegen im Mai eine Erhöhung der Bezüge von 9,2 Millionen auf 17,4 Millionen Euro im Jahr. Zu diesem Zeitpunkt lag die Telekom-Aktie auf einem damaligen Tiefpunkt von zwölf Euro. . Ermittelt wird auch gegen den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden von Babcock Borsig, Klaus Lederer. Der Vorwurf: Untreue und Insolvenzverschleppung. Die deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz wirft Lederer vor, er habe Babcock durch den Verkauf der Anteile des Kieler U-Boot-Bauers HDW wissentlich in die Zahlungsunfähigkeit getrieben. Er wurde Chef von HDW. . In Köln ist der Entsorgungsunternehmer Hellmut Trienekens gegen 100 Millionen Euro Kaution gerade aus der Untersuchungshaft entlassen worden. Im Zusammenhang mit dem Bau einer Müllverbrennungsanlage sollen insgesamt 21 Millionen Euro Schmiergeld geflossen sein. . Bernard Ebbers, Chef des US-Telekom-Konzerns WorldCom, deckte die Fälschung der Bilanz seines Unternehmens. Die Folge war die größte Firmenpleite aller Zeiten. . Anfang des Jahres ging der US-Energieriese Enron in Konkurs. Ex-Chef Kenneth Lay verkaufte vorher noch schnell seine Aktien und kassierte dafür 70 Millionen Dollar. Als Folge reagierten die Börsen mit rasanten Berg- und Talfahrten. Der DAX verlor gestern - ehe er stieg - zeitweise mehr als sechs Prozent, nachdem er schon am Vortag auf einem neuen Tief von 3515 Punkten angelangt war. Die Politiker in Deutschland haben ihren Teil zur schlechten Stimmungslage beigetragen: . Am Dienstag trat der brandenburgische Justizminister Kurt Schelter wegen dubioser Immobiliengeschäfte zurück. . Bundesverteidigungsmi- nister Rudolf Scharping (SPD) wurde vergangene Woche gefeuert. Er hatte sich mit dem Frankfurter PR-Unternehmer Moritz Hunzinger auf zweifelhafte Geldgeschäfte eingelassen. Höhe: 140 000 Mark. Der Ex-Minister ist deshalb auch ins Visier der Steuerfahndung geraten. . Auch der grüne Bundestagsabgeordnete Cem Özdemir stolperte über seine Beziehung zu Hunzinger. Der hatte ihm einen zinsgünstigen Privatkredit in Höhe von 80 000 Mark eingeräumt. Fälle wie diese rücken Politiker und Wirtschaftsbosse ins Zwielicht. Die Glaubwürdigkeitsfrage stellt sich. Daüber sprach das Hamburger Abendblatt auch mit Unions-Kanzlerkandidat Edmund Stoiber. "Wie Politiker angesehen werden, betrübt mich", sagte Stoiber. "Wer heute fragt, ob Politik und Korruption eine Einheit darstellen, wird von den Wählern die Antwort bekommen: ,Ja, das ist so.' Man kann nicht Wasser predigen und Wein trinken. Was wir brauchen, ist wieder mehr Anstandsgefühl und Tabus. Wir müssen wieder für die Wahrnehmung sorgen: ,Das tut man nicht!'" Viele Verantwortliche würden anders reden als handeln und würden anders denken als reden. "Wir müssen aber erreichen, dass das Reden, Handeln und Denken miteinander in Einklang stehen", forderte der bayerische Ministerpräsident. Er sprach von einem Glaubwürdigkeitsdefizit. "Wer sich selbst viel genehmigt, andere aber auffordert, den Gürtel enger zu schnallen, wird unglaubwürdig. Fleiß, Anstand, Ehrlichkeit, Strebsamkeit sind Tugenden, die heute nicht mehr viel zählen. Der Egoismus hat sich Bahn gebrochen." Einen ähnlichen Umdenkprozess fordert der Chef des Hamburger Welt-Wirtschafts-Archivs (HWWA), Thomas Straubhaar, in den Vorstandsetagen deutscher Unternehmen: "Es ist gut, wenn wir dort hohe Einkommen zulassen. Doch sie müssen erfolgsorientiert sein. Und dieser Erfolg muss auch überwacht werden." Doch gerade diese Kontrollfunktion würde in Deutschland sträflich vernachlässigt. "Hierzulande herrscht überwiegend die Mentalität vor: ,Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.' In der Regel ist es so, dass ein abgelöster Vorstandsvorsitzender sich auf einem Aufsichtsratsposten wiederfindet", sagt der Schweizer Straubhaar. Manager, die ihre Stellung missbrauchten, sollten zur Rechenschaft gezogen werden: "Man sollte ihnen Gehalt und Pensionsansprüche einfach streichen." WorldCom-Chef Bernard Ebbers wurde indessen zum reichen Farmer