Koalitionsverhandlungen: Wer wen dazu einladen darf

Hamburg. Wer ist der Stärkste? Wer darf die Verhandlungen über Koalitionen anführen? Seit dem knappen Ausgang der Bundestagswahlen, die der Union 225 und der SPD 222 Mandate bescherten, streiten die beiden Volksparteien über die Verhandlungshoheit. Unzweifelhaft aber liegt für den Bonner Verfassungsrechtler Prof. Dr. Wolfgang Löwer bei CDU-Chefin Angela Merkel als Führerin der stärksten Fraktion im Bundestag die "natürliche Initiative", eine Mehrheit hinter sich zu bringen. Das bedeutet: Angela Merkel lädt SPD-Fraktionschef Franz Müntefering ein, nicht umgekehrt.

Rechtlich ist dies allerdings nirgends festgelegt. Jeder kann mit jedem Gespräche führen. Wichtig ist allein das Ziel, eine Mehrheit im Parlament für die Regierungsbildung zu erlangen.

Für unerheblich, aber auch "nicht besonders redlich" hält Verfassungsrechtler Löwer den Vorstoß der SPD, CDU und CSU auseinanderzurechnen und sich selbst als stärkste Kraft darzustellen. Dafür präsentierte SPD-Chef Franz Müntefering gestern in Berlin eine Grafik, wonach die SPD einen Stimmenanteil von 34,3 Prozent, die CDU 27,8 und die CSU 7,4 Prozent erhielten.

"Das ist der Trick von Bundeskanzler Gerhard Schröder, mit dem er versucht, den Machtanspruch auf die Stärke der Parteien zu stützen", sagt Löwer. "Für die Wahl des Bundeskanzlers aber ist das unerheblich, denn die Fraktionen im Bundestag wählen den Bundeskanzler, nicht die Parteien." Außerdem ließen sich die Schwesterparteien als zwei Regionalparteien, die sich gegenseitig in ihren Gebieten keine Konkurrenz machen, nicht auseinanderrechnen. In Bayern steht nur die CSU auf dem Stimmzettel, im Rest der Republik die CDU. In der Geschäftsordnung des Bundestages sei festgelegt, daß sie eine Fraktion bilden.

Wie geht es weiter? Der Bundestag muß nach dem Grundgesetz spätestens am 30. Tag nach der Wahl zu seiner ersten Sitzung zusammenkommen. Dann wird das Bundestagspräsidium gewählt. Die Wahl des Bundeskanzlers folgt in der Regel in der zweiten Sitzung, für die es noch keinen Termin gibt. Eine Frist gibt es dafür nicht. Solange es keine neue Regierung gibt, bleibt die alte geschäftsführend im Amt.

Um diesen Schwebezustand zu beenden, wird sich, so meint Löwer, bald der Bundespräsident einschalten. Er selbst hat das Recht, einen Kanzler zur Wahl vorzuschlagen. "Wenn er dieses Recht wahren will, muß er es ausüben und kann so Druck machen", sagt Löwer. Verfehlt sein Kandidat im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit, schlagen die Fraktionen ihre Kandidaten vor. Verfehlen diese erneut die absolute Mehrheit, reicht im dritten Wahlgang eine einfache Mehrheit. Im Falle einer Minderheitsregierung kann der Bundespräsident nicht nur den Kanzler ernennen, sondern auch Neuwahlen ansetzen.