Anfang März 2004 charterte die Hilfsorganisation "Komitee Notärzte - Cap Anamur" ein Schiff, das vor der westafrikanischen Küste eingesetzt werden sollte, und dort rückkehrende Flüchtlinge von Liberia ins benachbarte Sierra Leone bringen sollte. Weshalb dazu ein Schiff benötigt wurde, war Kennern der Situation in dieser Krisenregion allerdings nicht einleuchtend, da die meisten Flüchtlingslager in Liberia im Landesinnern lagen. So blieb denn der Einsatz auf unspektakuläre Transporte von Hilfsgütern sowie gelegentlichen Transfers von Rückkehrern beschränkt.

Einen ähnlich fragwürdigen Schiffs-Einsatz hatte das "Komitee Notärzte" schon während des Bosnien-Krieges gefahren, obwohl der bekanntlich im bosnisch-herzegowinischen Bergland stattfand und Bosnien einen Zugang zum Mittelmeer erst nach dem Friedensabkommen von Dayton erhielt. Der Versuch der Schiffs-Fraktion beim "Komitee Notärzte", die Medien-Erfolge der ersten "Cap Anamur" aus den 70er-Jahren (vietnamesische "boat people") zu wiederholen, schienen in beiden Fällen logistisch reichlich fragwürdig.

Das Schiff nun im Seegebiet zwischen Sizilien und Tunesien patrouillieren zu lassen, um dort umherirrende illegale Migranten und Flüchtlinge (allesamt pauschal als "Flüchtlinge" bezeichnet) mit oder ohne ihre Schlepper auf ihrem Weg nach Italien beziehungsweise in die EU aufzufischen, war ein Versuch, mit der neuen "Cap Anamur" an die Tradition ihrer Vorgängerin anzuschließen. Doch als das Schiff vor über vier Wochen die ersten 37 Schiffbrüchigen aufgenommen hatte, war dies noch keine medientaugliche Nachricht; schließlich war bekannt, dass die italienische Marine und der Küstenschutz seit längerem solche "boat people" auf offener See aufnehmen, sie an Land bringen und (nach Prüfung der vorgebrachten Asylgründe, die in der großen Mehrzahl nicht vorliegen) wieder ausweisen.

So richtig in die Medien kam die "Cap Anamur" erst durch zwei "scoops". Zum einen durch die Behauptung, es handle sich bei den Schiffbrüchigen überwiegend um Flüchtlinge aus Sudan (bzw. der dort umkämpften Region Darfur), zum anderen durch den Versuch, den Zugang zu Italien auch gegen ein entsprechendes Verbot zu erzwingen. Es hat sich mittlerweile herausgestellt, dass nur wenige der "Cap Anamur"-Schützlinge aus dem Sudan sind (wobei völlig offen ist, ob es sich um Darfur-Flüchtlinge handelt). Die meisten der Immigranten stammen nach anderen Berichten aus Ghana und Nigeria, womit schwerlich ein plausibler Asylgrund vorgebracht werden kann. Dass eine seit Jahrzehnten in Afrika tätige Hilfsorganisation Westafrikaner nicht von Sudanesen unterscheiden kann, ist nicht wahrscheinlich. Viel eher sollte da wohl die bislang medial unwirksame Aktion mit einem Sudan-Darfur-Hintergrund flüchtlingspolitisch aufgeladen werden.

Um einmal mehr die "radikale Humanität", der sich die Organisation verschrieben hat, endlich publikumswirksam darstellen zu können, konnte den Komitee-Managern nichts besseres passieren, als die Beschlagnahmung des Schiffes und die Verhaftung seiner Führung nach der erzwungenen Zufahrt des Schiffes in einen sizilianischen Hafen.

Dass man sich der naiven Idee hingegeben hat, auf dem deutschen Schiff Asylanträge für Deutschland stellen zu können und die Asylbewerber dann (wie einst auf der ersten "Cap Anamur" vor Vietnam) direkt nach Deutschland zu schaffen, zeigt denn doch wesentliche Schwächen der Aktion. Außerdem wird damit auch die Behauptung unglaubwürdig, es gehe hier nur um die Rettung Schiffbrüchiger. Letzteres ist im Übrigen schon deshalb fragwürdig, weil offenbar zu keiner Zeit versucht wurde, die Schiffbrüchigen wieder in Tunesien an Land zu setzen.

Vergleichbare Aktionen werden damit wohl nicht mehr möglich sein, und notwendig oder nützlich war diese Aktion ohnehin nicht. Der Nutzen würde sich beispielsweise daran messen lassen, wie viele Immigranten von italienischer Marine und Küstenschutz in den vier Wochen aus Seenot geborgen wurden, im Verlauf derer die "Cap Anamur" die 37 Afrikaner an Europas Gestade verbracht hat. Zumindest vorübergehend.

* Bernd Leber (60) aus Tostedt war Mitarbeiter von Hilfs- und Entwicklungsprojekten des UNO-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR), der Bundesregierung sowie der EU. Heute ist er Berater in Migrations- und Flüchtlingsfragen.