In beispielloser Offenheit klagen die Kommandeure Minister Scharping an: Zu wenig Geld, politische Ignoranz.

Hannover. Erstmals haben Bundeswehr-Generale öffentlich ihre politische Führung für den teilweise desolaten Zustand der deutschen Streitkräfte verantwortlich gemacht. Einen Tag vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Wehrpflicht wurde Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) auf der Kommandeurtagung in Hannover gestern indirekt vorgeworfen, die dramatischen Probleme der Truppe nicht zu erkennen. Den Aufstand der Generale leitete kein Geringerer als Generalinspekteur Harald Kujat ein. "Die Truppe sieht eine immer größere Schere zwischen Auftrag und Mitteln", sagte Kujat vor 650 Kommandeuren. Der Chef der Hamburger Führungsakademie, Generalmajor Hans-Christian Beck, sagte: "Wir befinden uns zwischen der Hinlänglichkeit der Mittel und der Finanzkatastrophe." "Ich sehe mit Sorge, dass die Stimmung in der Truppe schlechter wird und Leistungsbereitschaft, Motivation und Berufszufriedenheit leiden," so Kujat weiter. Er wies zugleich auf die Gefahr hin, dass die Bundeswehrreform, was die Personalstruktur angehe, nicht wie geplant 2006, sondern erst 2012 abgeschlossen werden könne. Der Geldmangel habe zur Folge, dass die Streitkräfte überlastet seien. Bei den Auslandseinsätzen auf dem Balkan und in Afghanistan würden bereits Reserven verbraucht, sagte Kujat, der im Sommer zur NATO wechselt. Mehrfach griff Kujat Punkte aus Scharpings Rede vom Vortag auf, um sie richtig zu stellen. Hatte der Minister noch das innere Gefüge der Streitkräfte als intakt gelobt, stellte der Generalinspekteur fest, dass der so genannte Löchel-Bericht die Realität beschreibe. Der Report spricht von Vertrauensverlust in die politische Führung und davon, dass die Truppe nur noch auf den Kanzler setze. Und hatte Scharping noch angekündigt, 5000 Spezialisten einzustellen, korrigierte Kujat: "Ich weiß nicht, woher diese Information kommt. Fest steht, dass sie falsch ist." Auch mit seiner Klage über Nachwuchs-Probleme widersprach Kujat dem Minister, der von rasant steigenden Bewerberzahlen gesprochen hatte. Während Scharping zu dem Schluss gekommen war, dass sich die Leistungsfähigkeit der Truppe sehen lassen könne, zog Kujat eine vernichtende Bilanz: "Es ist noch nicht erkennbar, wie Auftrag, Fähigkeiten und Mittel in Einklang zu bringen sind." Gebe es keine deutliche Erhöhung der Investitionen für Material, so Kujat weiter, seien schmerzhafte Eingriffe in Projekte nötig, die seit langem geplant und für die Zukunft wichtig seien. Schon in diesem Jahr müsse man sich von Vorhaben trennen. Die Gefahr sei nun, dass geplante Modernisierungen so lange verschoben würden, bis neue Entwicklungen die Pläne schon wieder überholten. Angesichts der widersprüchlichen Lageeinschätzungen fragte der deutsche NATO-General Götz Gliemeroth in der anschließenden Aussprache: "Wie kann es zu einer solch unterschiedlichen Wahrnehmung kommen?" Kujat antwortete mit einer Gegenfrage: "Was soll ich zu Formulierungen sagen, die der Minister gebraucht hat?" Der Generalinspekteur betonte auch, dass er zwar für die Planung der Bundeswehr verantwortlich sei, aber die Gesamtverantwortung trage der Minister, und die Richtlinienkompetenz habe der Bundeskanzler. Einigen ging die Kritik des Generalinspekteurs nicht einmal weit genug. Generalmajor Hans-Christian Beck sagte, es sei selbstverständlich, dass von der Bundeswehr zur politischen Führung ein offenes Verhältnis bestehe. Eine andere Frage sei, ob die politische Führung ein inneres Verhältnis zu den Streitkräften habe.